Finnland, Schweden und das Nullsummenspiel des Westens

17.05.2022

"Der erwartete Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO birgt eine traurige und ziemlich erbärmliche Ironie", schreibt der britische Autor, Journalist und Politikwissenschaftler Anatol Lieven.

Während des Kalten Krieges war die Sowjetunion eine militärische Supermacht, die einen Großteil Mitteleuropas besetzt hielt. Mit den im Herzen Deutschlands stationierten russischen Truppen schien der sowjetische Kommunismus zumindest eine Zeit lang eine Bedrohung und Gegenkraft zur westlichen kapitalistischen Demokratie zu sein.

Trotz der politisch schwierigen Zeiten "blieben Finnland und Schweden während dieser Jahrzehnte offiziell neutral", erinnert sich Lieven.

Im Falle Finnlands war die Neutralität eine Bedingung des Vertrages mit Moskau, der den Krieg zwischen den beiden Ländern beendete. Schweden hingegen habe seine Karten so ausgespielt, dass es "unter dem amerikanischen Sicherheitsschirm steht, ohne dafür einen Beitrag leisten oder ein Risiko eingehen zu müssen".

Auch die psychologischen Vorteile für den Westen waren groß. Lieven argumentiert, dass "Schweden den Schutz der Vereinigten Staaten genoss und gleichzeitig die Freiheit hatte, seine vermeintliche moralische Überlegenheit gegenüber dem imperialistischen und rassistischen Amerika zu demonstrieren, wenn sich die Gelegenheit bot".

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich Russland tausend Kilometer nach Osten zurückgezogen, während die NATO und die Europäische Union ihr Territorium nur erweitert haben. In diesen Jahren hat sich Russland nicht als konkrete Bedrohung für seine nördlichen Nachbarn erwiesen.

Während und nach dem Kalten Krieg hat Moskau nie mit Helsinki gedroht. Die Sowjetunion hielt sich an die Bedingungen des Vertrages mit Finnland. Sie beschloss sogar, sich von der Militärbasis Porkkala zurückzuziehen, die laut Vertrag noch vierzig Jahre hätte dort bleiben können.

Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass Russland diese Politik ändern und Finnland angreifen würde. Im Fall der Ukraine war die Situation völlig anders und die Gründe für Moskaus Vorgehen liegen auf der Hand, wenn man in der Lage ist, die jüngste Geschichte der Region und die Rolle des Westens aus einer realpolitischen Perspektive zu betrachten.

Wie Lieven außerdem betont, "haben seit Beginn der NATO-Erweiterung in den 1990er Jahren sowohl russische Beamte als auch eine Reihe westlicher Experten - darunter drei ehemalige US-Botschafter in Moskau und der derzeitige CIA-Direktor - davor gewarnt, dass der Beitritt der Ukraine zu einem antirussischen Bündnis wahrscheinlich zu einem Krieg führen würde".

Warum sind die europäischen Mitglieder der NATO so erpicht auf eine neue Konfrontation mit Russland? Laut Lieven liegt ein Grund darin, dass die aktuelle Situation den Euro-Ländern einen Vorwand liefert, um die Entsendung von Truppen außerhalb Europas (z.B. nach Westafrika) zu vermeiden, wo eine Beteiligung an lokalen Konflikten "in Form von islamistischem Extremismus und Masseneinwanderung eine echte Bedrohung für die innere Sicherheit Europas und Skandinaviens darstellen würde".

Finnland hat sich in der neuen Phase des Ukraine-Konflikts sofort in die Riege der Waffenlieferanten eingereiht. Der Infokrieg in den Mainstream-Medien hat sich ebenfalls verschärft, und es vergeht kein Tag, an dem Putin und Russland nicht in einem extrem negativen Licht in den Schlagzeilen stehen. Das offizielle Finnland hat seinen Weg gewählt, ohne die Öffentlichkeit zu konsultieren, und die Abendzeitungen preisen an, 'wie Finnland stolz vor der Haustür in die NATO einmarschiert'. Die Entscheidung Finnlands erregt auch weltweit Misstrauen.

"Mit dem Beitritt zur NATO vergibt Finnland die geringe Chance, als Vermittler zwischen Russland und dem Westen aufzutreten, nicht nur, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, sondern auch, um irgendwann in der Zukunft eine breitere Versöhnung zu fördern. Stattdessen vervollständigt Finnland den letzten Teil einer neuen Grenze des Kalten Krieges, die wahrscheinlich auch nach der derzeitigen russischen Regierung bestehen wird", schließt Lieven.

Der Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO kann auch als "symbolischer Moment gesehen werden, in dem die Länder Europas als Ganzes den Traum aufgaben, Verantwortung für ihren eigenen Kontinent zu übernehmen, und sich in die totale Abhängigkeit von Washington begaben".

Diese Abhängigkeit wird durch "ohnmächtiges europäisches Gejammer und Gemurre" überdeckt, wenn "ein neuer Präsident à la Trump" das Weiße Haus übernimmt und die geringste Höflichkeit und Konsultation seiner "transatlantischen Partner" ablehnt.

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Politik der USA und der NATO gegenüber Russland ein grimmiges Nullsummenspiel. Washington hat die Führung übernommen und die europäischen Länder sind ihm gefolgt. Finnland schließt sich nun dieser 'hinkenden, taumelnden Entourage' an. Lieven glaubt nicht, dass "Finnlands gute Beziehungen zu Russland" wiederhergestellt werden, egal welches Regime in Moskau an der Macht ist.

Andererseits könnte die vollständige Verdrängung Russlands aus den europäischen Strukturen - die seit langem ein offenes Ziel der USA und der NATO ist - Russland längerfristig strategisch völlig von China abhängig machen und die asiatische Supermacht bis an die Ostgrenzen Europas bringen.

Ein solches Ergebnis wäre "eine ironische, aber verdiente Belohnung für die strategische Dummheit Europas", so Lieven.

Quelle: https://markkusiira.com/2022/05/16/suomi-ruotsi-ja-lannen-nollasummapeli/