Putin ist in Tschechien beliebter als Merkel

26.08.2016
Kanzlerin Merkel auf Staatsbesuch in Tschechien

Angela Merkel reist zum Staatsbesuch in die tschechische Hauptstadt Prag. Einst galt sie dort als die große Verbündete. Doch ihre "Willkommenskultur" hat sie für viele Tschechen zum Feindbild gemacht. 

Am Ende dieses Sommers hat sich noch einmal flirrend heiße Luft über den Moldaukessel gelegt. Die Ausflugsdampfer, die auf der Kampa-Insel unterhalb des Hradschin starten, sind voll. Auf der Burg mit dem majestätischen Veitsdom stehen die Touristen stundenlang Schlange: In Zeiten des Terrors kontrolliert die Polizei jede Tasche und jeden Rucksack.

In den Biergärten werden die Plätze knapp, abends torkeln die Gäste wohlgelaunt aus den Lokalen. Die Prager selbst sind noch irgendwo auf dem Dorf im Ferienhäuschen oder planen gerade die mühsame Rückfahrt über die mit Dauerbaustellen gespickten heimischen Autobahnen. Die Stadt ist fest in der Hand der Touristen.

Wenn Angela Merkel früher zu einem Arbeitsbesuch nach Prag kam, gehörte ein Bad in der Menge auf der Karlsbrücke schon zum Ritual. Vorrangig deutsche Touristen wandten sich dann kurz von den Ständen mit selbst gemalten Bildern oder handgemachtem Schmuck ab, freuten sich, Merkel mal hautnah zu sehen, grüßten freundlich, schüttelten ihr die Hand, winkten oder versuchten sie mit der Smartphone-Kamera einzufangen.

Merkels "Willkommenspolitik" ärgert die Tschechen

Auch bei vielen Tschechen kam Merkel immer gut an. Sie mochten die Deutsche, von der sie wussten, dass sie in ihrer Stadt als Studentin Praktika an der Akademie der Wissenschaften gemacht hatte und immer noch ein paar Brocken ihrer nicht eben leichten Sprache beherrscht. Mehr als 70 Prozent der Tschechen vertrauten der Kanzlerin zu deren besten Zeiten. Das ist erst ein gutes Jahr her.

Seit dem Beginn ihrer "Willkommenspolitik", ein Wort, das niemand in Tschechien übersetzen muss, ist ihre Beliebtheit jedoch um die Hälfte eingebrochen; eine Prager Gazette schrieb am Wochenende von nur noch 18 Prozent. Selbst Wladimir Putin hat sie in der Gunst überholt. Das grenzt an ein Wunder in einem Land, in dem man dieser Tage wieder an das blutige Ende des "Prager Frühlings" erinnert, das vor allem die Handschrift Moskaus trug.

Angesichts dessen wird Merkel wohl diesmal auf ein Bad in der Menge verzichten. Und das in der Stadt, die einer ihrer Sehnsuchtsorte ist, wohin sie gern auch privat immer mal wieder reisen werde – nach ihrer Kanzlerschaft –, wie sie früher einmal bekannte.

"Wir wollen diese Islamisten nicht bei uns haben"

"Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie kommt. Aber ich brauche sie hier, ehrlich gesagt, nicht. Wir haben hier alle die Nase voll von Frau Merkel", redet sich Karel Krejčí, ein Mittfünfziger, auf den Besuch angesprochen, gleich in Rage. "Sie hat die ganzen Flüchtlinge eingeladen, und nun sollen wir die Suppe auslöffeln. Nicht mit uns!", poltert der Mann weiter.

Seine Gattin Eva ergänzt: "Jetzt hat sie mit dem Terror in ihrem eigenen Land die Quittung bekommen. Wir wollen diese Islamisten, Terroristen und Kopfabschneider nicht bei uns haben. Hoffentlich sagen ihr das unsere Politiker auch sehr klar."

Andere Tschechen, die man nach Merkel befragt, winken bestenfalls ab. Schlimmstenfalls antworten sie mit Flüchen, die nicht zitierfähig sind. Die tschechische Sprache ist reich an Synonymen, viel bildhafter als die deutsche. Auch bei Schimpfwörtern.

Dem Kommentator des Blogs "Aktuálně.cz.", Martin Fendrych, ging die Anti-Merkel-Stimmung in seinem Land dieser Tage derart gegen den Strich, dass er schrieb: "Merkel ist kein Teufel, sondern unsere lebenswichtige Verbündete. Langsam sollten das die Leute zu begreifen beginnen."

Enge Beziehungen zur Dresdner Pegida

Um ihren eigenen Politikern Druck zu machen, haben verschiedene islamfeindliche Gruppen ihre Anhänger über die sozialen Netzwerke zu Protestdemonstrationen gegen die Kanzlerin aufgerufen. Darunter der "Block gegen die Islamisierung", der auf ähnlichen Veranstaltungen schon Galgen mit sich führte, die einheimischen Politikern angedroht wurden, sollten sie Merkels Kurs womöglich teilen. Die Islamgegner unterhalten enge Beziehungen zu Pegida in Dresden.

Merkel wird diese Demonstranten kaum wahrnehmen. Wenn sie Glück hat, dann trifft sie bei ihrer Anfahrt auf die Burg sogar ein paar Anhänger, die sie hier nichtsdestotrotz immer noch hat. Die waren schneller als die Islamgegner und haben ihre Demo auf dem Platz vor der Burg vier Tage vorher angemeldet. Aber die Kanzlerin sollte sich von denen nicht täuschen lassen. Auf der Burg selbst wird Präsident Miloš Zeman nicht nur Nettigkeiten sagen. Da ist eher Klartext zu erwarten.

Der Präsident wird nicht müde, Merkels Kurs in der Flüchtlingsfrage vehement zu verurteilen. Der sei ein einziger "großer Fehler". Nach den wiederholten Terrorakten in Westeuropa hat er seinen Bürgern empfohlen, sich zu bewaffnen. Er selbst werde geschützt, habe aber auch seiner Frau gesagt, sie solle einen Waffenschein machen. Jüngst sah man in den sozialen Netzwerken denn auch schon ein Foto von ihr, im Kampfanzug und mit einer Maschinenpistole größeren Kalibers. Ob das Foto echt war, ist allerdings nicht geklärt.

Der Präsident stachelt die Hysterie selbst an

Zeman selbst hatte schon vor Monaten getönt, er würde notfalls selbst mit der Waffe in der Hand die tschechische Grenze gegen "Illegale" verteidigen, die in Tschechien "die Scharia einführen, ehebrechende Frauen steinigen, Dieben die Hände abhacken und eigentlich allen am liebsten gleich den Kopf abschneiden" wollten. So trägt er bei zur Hysterie in seinem Land – in dem es derzeit fast keine Flüchtlinge gibt.

Unter denen hatte sich schnell herumgesprochen, dass man Tschechien besser meiden sollte. Wer dort aufgegriffen wurde, lief Gefahr, in ein Internierungslager zu kommen. Sechs Wochen musste er dort zubringen, ohne Handy, ohne Bargeld, mit schlechtem Essen, ohne Dolmetscher, mitunter selbst ohne anwaltlichen Beistand. Wer kein Asyl beantragte, wurde danach dahin zurückgeschickt, wo er hergekommen war – wenn ihn die Nachbarländer wieder aufnahmen.

Denen, die nicht abgeschoben werden konnten, zeigte man, wo und wann der nächste Zug nach Deutschland ging. Als sich einige der Internierten über den Umgang beklagten, rief ihnen Zeman in einem Interview zu: "Haut ab, wenn es euch hier nicht passt! Niemand hat euch hergebeten." Der sozialdemokratische Innenminister Milan Chovanec hatte von Beginn an bewusst auf Abschreckung gesetzt und ist stolz, dass dies "prima funktioniert" hat.

2000 Syrer warten auf Einlass

Diese Taktik hat auch dazu geführt, dass die Quotenlösung der EU-Innenminister für die gerechte Aufteilung der Flüchtlinge in Tschechien bislang nicht funktioniert. "Merkel hat recht, wenn sie sagt, dass jeder Flüchtling Anspruch auf Asyl in einem Land der EU hat, nicht aber in seinem Wunschland", gibt man in Prag gerade noch so zu. "Aber das setzt voraus, dass die Flüchtlinge auch in Tschechien, Polen, der Slowakei oder Ungarn bleiben wollen, wenn sie da gelandet sind. Wollen sie aber weiter nach Deutschland, kann man sie schlecht festbinden. Das Drängen nach Deutschland beweist übrigens, dass es sich fast nur um Wirtschaftsflüchtlinge handelt."

Die Tschechen hatten einen solchen Fall, ausgerechnet bei einem Vorzeigeprojekt. Da waren ausgewählte Christen aus dem Irak ins Land geholt worden, die anfangs auch Asyl beantragten, dann aber heimlich einen Bus charterten und sich auf den Weg nach Deutschland machten.

Andere zogen es vor, lieber wieder in die unsichere Heimat zurückzukehren. Die Prager Regierung stoppte daraufhin auf Antrag des beinharten Innenministers das ganze Integrationsprojekt. Ähnliches wird es vorerst nicht mehr geben. Derzeit warten mehr als zweitausend Syrer auf den ihnen und der EU versprochenen Aufenthalt in Tschechien. In diesem Jahr aber, so heißt es, wird es damit wohl erst einmal nichts werden.

"Tschechien ist an europäischen Lösungen interessiert"

So schlecht bis aggressiv die Stimmung in großen Teilen der tschechischen Bevölkerung ist – in Merkels Besuch steckt auch eine Chance. Luboš Palata von der auflagenstärksten Zeitung "Mladá fronta Dnes" fordert dafür aber auch "Klartext" von der Kanzlerin: "Es ist nicht der Augenblick für zurückhaltende Diplomatie. Merkel muss mit ihren Argumenten die proeuropäischen und prowestlichen Kräfte in Tschechien ermutigen. Wenn Deutschland Tschechien als demokratisches, proatlantisches, proeuropäisches Land nicht verlieren will, ist das die letzte große Chance für viele Jahre."

Mehr Aufklärung empfiehlt Tomáš Lindner vom Polit-Magazin "Respekt": "Wenn die Kanzlerin sehr viel früher nach Prag gekommen wäre oder öfter mal dem tschechischen Fernsehen ein längeres Interview gewährt hätte, hätten es die tschechischen Politiker mit ihren 'einfachen Wahrheiten' nicht so leicht."

Ein wenig Optimismus versprüht Thomas Oellermann von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag: "Nur der Dialog kann starre Positionen aufweichen. Es bedarf keiner größeren Analysen, um festzustellen, dass Tschechien aus verschiedenen historischen und sozialen Gründen nicht in der Lage ist, eine verhältnismäßig gleiche Last in der Bewältigung der Flüchtlingsfrage zu tragen. Tschechien ist aber – und das unterscheidet es von anderen Ländern in Mittel- und Osteuropa – an europäischen Lösungen interessiert."

Der Regierungschef fürchtet den "Todeskuss"

Oellermann spielt damit vor allem auf den sozialdemokratischen Premier Bohuslav Sobotka an. Der hat im vergangenen Jahr als turnusgemäßer Chef der Visegrád-Gruppe mit Polen, der Slowakei und Ungarn versucht, mäßigend auf seine Kollegen aus diesen Ländern einzuwirken. Er hat es auch abgelehnt, dem Beispiel Ungarns und der Slowakei zu folgen und gegen eine Verteilung der Flüchtlinge nach Quoten beim Europäischen Gerichtshof zu klagen.

Sobotka steht deshalb unter Druck im eigenen Land, hört ständig Kritik von Präsident Zeman, aber auch seiner Koalitionspartner. Wird er Merkel gegenüber zu entgegenkommend, gefährdet das womöglich die Chancen seiner Partei bei den im Herbst anstehenden Regionalwahlen. Selbst ein vorsichtiges Lob der Kanzlerin für seine Besonnenheit würde in der Öffentlichkeit wie ein "Todeskuss" für den Regierungschef bewertet werden, heißt es.

Sobotka als Gastgeber hat daher auch schon vorgebaut. Er will nicht nur über die Flüchtlingsfrage mit Merkel reden, zumal sich beide schon am Tag darauf in Warschau mit den Premiers der anderen Visegrád-Staaten treffen werde. Da werde es verstärkt um dieses Thema gehen und darum, wie es mit Europa nach dem Brexit weitergehen soll. Dies alles gilt auch der Vorbereitung des nächsten EU-Gipfels in der Slowakei Mitte kommenden Monats.

Kein Spaziergang für die Kanzlerin

Die Kanzlerin zeigt sich offen auch für die Ideen der Osteuropäer. In ihrer Regierungserklärung am 28. Juni hatte sie vor dem Bundestag erklärt, die europäische Debatte sollte nicht auf die Frage mehr oder weniger Europa verengt werden: "Was wir vielmehr brauchen, das ist ein erfolgreiches Europa; und ein erfolgreiches Europa, das ist ein Europa, an dem die Bürgerinnen und Bürger teilhaben können, mit dem sie sich identifizieren können und das ihr Leben spürbar verbessert."

In diesem Sinne hat Sobotka auf seiner Agenda mit der Kanzlerin auch das dringende Problem besserer Verkehrsverbindungen für Tschechen und Deutsche, namentlich bei der Bahn. Und bei einem gemeinsamen Besuch eines wissenschaftlichen Zentrums der Technischen Hochschule in Prag-Dejvice soll Merkel vorgeführt werden, wie die Verzahnung von industrieller Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik aussehen könnte.

Stichwort: Industrie 4.0. Das werde die gelernte Wissenschaftlerin Merkel, so hofft der Premier, auf andere Gedanken bringen. Dennoch: Ein Spaziergang wird die Reise der Kanzlerin nach Prag diesmal nicht.

Welt online (25.8.2016)