Die vielen Gesichter des Iran
Die Beerdigung von Raisi zeigte eines der Gesichter des iranischen Mosaiks. Das vorherrschende, sehr zum Leidwesen unserer Medien, die in den Tagen vor der Beerdigung kleine Jubelkundgebungen hervorgehoben hatten. Nicht sehr zahlreich, und noch weniger dokumentiert. Jetzt sind es Menschenmassen... Menschenmassen, die beten, Menschenmassen, die weinen, Menschenmassen, die bedrohliche Slogans schreien. An jeder Station des Sarges, bis hin zu seiner letzten Ruhestätte in der Heiligen Stadt Maschhad.
Es geht jedoch nicht darum, über die Figur des verstorbenen Präsidenten zu diskutieren. Die Beerdigung ist der Lackmustest für die Komplexität der Islamischen Republik, die nicht ohne Spannungen und Belastungen ist.
Und ich betone 'Islamische Republik'. Denn genau hierin liegt der Schlüssel zum Verständnis des Iran. Darin, dass er eine Republik und vor allem eine islamische Republik ist.
Dies ist in der Tat der Kitt, der ein Land zusammenhält, das ansonsten in tausend „Mosaiksteine“ unterschiedlicher Farbe und Nuancen zersplittert ist.
Der Iran ist ein Kosmos, in dem Völker mit unterschiedlichen Ethnien, Sprachen und Kulturen zusammenkommen. Vereint jedoch durch den Glauben, den schiitischen Islam und folglich die Autorität der Ayatollahs. Die gleichzeitig religiös und politisch ist.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Unter den Kurden und Belutschen gibt es sunnitische Minderheiten von einiger Größe. Und es gibt kleine christliche und zoroastrische Minderheiten. Die überwältigende Mehrheit der Iraner sieht sich jedoch in der schiitischen Zwölfer-Tradition. Ob Perser - etwa 60% der 86 Millionen Einwohner - Aseris, Araber, Belutschen, Qasquai, Kurden oder andere kleinere ethnische Gruppen.
Und gerade der schiitische Glaube ist der Kitt, der die Islamische Republik vor dem Zusammenbruch bewahrt hat. Und das trotz wiederholter Versuche im Laufe der Jahrzehnte, Unabhängigkeit und Ethno-Nationalismus zu schüren. Das führte zwar zu Unruhen, insbesondere zwischen Belutschen und Kurden, hat aber die Einheit des Landes nie wirklich gefährdet.
Das liegt auch daran, dass die herrschende Elite nicht der alleinige Ausdruck der persischen Mehrheit ist. Im Gegenteil, an der Spitze stehen Mitglieder der arabischen Komponente, wie der mächtige Anführer der Bassidsch, der religiösen paramilitärischen Miliz, Mohammed Reza Naqdi. Und vor allem Ayatollah Ali Khamenei selbst, der Oberste Führer, stammt aus der aserischen Minderheit.
Wenn die Islamische Republik trotz Sanktionen, internationaler Isolation und sogar militärischer Angriffe wie dem von Saddams Irak so viele Jahrzehnte durchgehalten hat, so ist dies genau diesem Zusammenhalt um eine gemeinsame religiöse Identität zu verdanken.
Khomeinis große Intuition, die auch heute noch die Stärke dessen darstellt, was wir die 'Königin der Ayatollahs' zu nennen gewohnt sind.
Und das Bild, das wir im Westen nach wie vor von einem Regime vermitteln, das ausschließlich auf Gewalt und Unterdrückung beruht, ist falsch. Völlig falsch, denn kein Regime könnte sich so lange halten, wenn es nicht in der Lage wäre, die Mehrheit seiner Bürger um einen starken und soliden Identitätskern zu versammeln.
Sicherlich gibt es in Teheran und in den großen städtischen Zentren eine obere Mittelschicht, die sich gegen die vom politisch-religiösen System auferlegten Verpflichtungen wehrt. Eine, nennen wir sie, Mittelschicht, die von säkularen und westlichen Modellen beeinflusst ist. Und deshalb einflussreich und tendenziell rebellisch ist.
Aber es handelt sich um eine ziemlich, ja sehr kleine Minderheit. Und darüber hinaus sehr wenig kämpferisch.
Ob es uns nun gefällt oder nicht, der wahre Iran wird durch die betenden und schreienden Menschenmassen repräsentiert, die an Raisis Sarg vorbeiziehen.
Das müssen wir verstehen. Und uns nicht von dem Märchen einlullen lassen, das unsere Medien und 'Experten' uns erzählen. Das Märchen von einem Regime, das aus vier alten Ayatollahs in Palandrana und einer Handvoll gewalttätiger Fanatiker besteht, die alle, wirklich alle, der Bevölkerung unterdrücken. Die gerne so leben würden wie wir. Mit unseren eigenen sozialen und kulturellen Modellen, fließend und relativistisch. Zum Beispiel das Eurofestival anschauen und über 'Geschlechtsidentität' diskutieren. Oder andere solche Dinge... die uns grundlegend erscheinen. Aber nur für uns...
Übersetzung von Robert Steuckers