Visegrád-Staaten wehren sich gegen eine stärkere EU-Integration

28.06.2016

Deutschland und Frankreich wollen ein Kerneuropa und eine stärkere politische Union, in Polen malt man einen "Superstaat" aus, Tschechien warnt vor übereilter Integration.

Die Außenminister der Visegrád-Staaten Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei haben sich mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem französischen Kollegen Jean-Marc Ayrault in Prag zu einem Krisentreffen getroffen. Zuvor hatten sich die sechs Außenminister der EU-Gründungsstaaten (Frankreich, Italien, Deutschland und die Benelux-Staaten) am Samstag nach der Brexit-Entscheidung der Briten getroffen.

Das stieß auf Kritik von Seiten nicht-beteiligter Länder auf Kritik, weil über eine weitergehende Integration gesprochen wurde, aber gleichzeitig für eine flexiblere Union für die Länder, die dazu nicht bereit sind. Die Rede war in der Abschlusserklärung von "unterschiedliche Ambitionsniveaus".

Beim Treffen mit den Visegrád-Staaten ging es genau um solche unterschiedlichen Interessen. Hier gab es Aufregungen, da Steinmeier und Ayrault in einer gemeinsamen Erklärung auf den möglichen Austritt Großbritanniens in einer gemeinsamen Erklärung, sekundiert schließlich auch von der EU-Außenbeauftragten Mogherini (EU: "Eine schlagkräftige europäische Verteidigungsindustrie schaffen"), sagten, dass die EU nun geschlossener werden müsse. So wird eine europäische Sicherheitsagenda für eine "Sicherheitsunion" im Rahmen einer "integrierten EU-Außen- und Sicherheitspolitik" mit einer verstärkten militärischen Kooperation und einer gemeinsamen Terrorbekämpfung gefordert.

"Unsere beiden Länder verbindet ein gemeinsames Schicksal und eine gemeinsame Werteordnung. Beides zusammen bildet die Grundlage für eine immer engere Union unserer Völker. Wir werden daher weitere Schritte in Richtung einer Politischen Union in Europa unternehmen, und wir laden die anderen europäischen Staaten ein, sich uns in diesem Unterfangen anzuschließen." (Steinmeier/Ayrault)

Überdies forderten die beiden Außenminister, deren Länder nach dem Ausscheiden von Großbritannien noch stärker zu den EU-Supermächten würden, eine "gemeinsame Europäische Asyl‑ und Einwanderungspolitik" mit der Sicherung der Außengrenzen, einem "effizienten Asylsystem" und einem "dauerhaften und bindenden Mechanismus zur Lastenteilung" bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Und dann steht auch noch "Wachstumsförderung und Vollendung der Wirtschafts‑ und Währungsunion" auf dem Programm. Wirtschaftliche Konvergenz wird als Ziel genannt, ein gemeinsamer Haushalt und eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Eurogruppe.

Im Vorfeld sorgten diese Überlegungen für Panik in osteuropäischen Ländern. Vornehmlich in Polen spülte der Ausdruck einer vertieften" politischen Union" Ängste hervor bzw. wurden diese geschürt. So hieß es in TVP Info, verbreitet vom Polnischen Radio, die Erklärung sei ein "Ultimatum", das heute den Visegrad-Außenministern präsentiert würde.

Dabei wird nur auf Steinmeier verwiesen, der einen "Superstaat" schaffen wolle, in dem die Mitgliedsländer "praktisch kein Recht auf ihre eigene Armee, auf ein eigenes Strafgesetz oder Steuersystem" hätten, auch eine eigene Währung sei nicht mehr vorgesehen. Die Länder würden die Kontrolle über ihre eigenen Grenzen und die Maßnahmen für die Aufnahme oder Verteilung von Flüchtlingen verlieren. Der polnische Außenminister dazu: "Das ist keine gute Lösung …Die Stimmung in den europäischen Gesellschaften ist unterschiedlich. Europa und unsere Wähler wollen die Union nicht in die Hände von Technokraten übergeben."

Man werde in Prag darüber sprechen. Während Martin Schäfer vom deutschen Außenministerium erklärte, dass Belin keinen Superstaat, sondern ein "besseres Europa" anstrebe, sagte der polnische Außenminister heute, dass das Paper alte Ideen enthielte, schon vor dem Brexit aufgesetzt wurde und die neuen Entwicklungen nicht berücksichtige.

In Prag erklärte der tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek, die EU sei ein "lebensnotwendiges Projekt" und müsse fortgesetzt werden. Die Zukunft der EU müsse auf einer Plattform mit allen 27 Mitgliedsstaaten stattfinden, womit die Idee eines Kerneuropas zurückgewiesen wurde, dass eine schnellere Integration vorantreibt. Falsch sei, so Zaorálek, mit Blick auf den deutschen und französischen Außenminister, eine übereilte Integration. Der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák schlug noch für Juli ein Treffen der Außenminister aller Mitgliedstaaten vor, um die künftige Richtung der EU zu diskutieren. Auf Twitter reagiert Steinmeier mit einem Verweis auf das französisch-deutsche Papier: "Ein starkes #Europa in einer unsicheren Welt."

Am Nachmittag fand noch einmal ein Treffen mit außenpolitischen EU-Vertretern in Warschau statt. Dem polnischen Außenminister Waszczykowski scheint es wichtig gewesen zu sein, die Brexit-Entscheidung zu würdigen. Es sei eine demokratische Entscheidung gewesen, man müsse aufhören, "hysterisch zu sein und Ausreden zu finden, dass dies nur Dummheit war". Man müsse darüber nachdenken, warum Großbritannien nach 40 Jahren die EU verlassen will.

Gar nicht so freundlich hörte sich freilich an, wenn sich das polnische Außenministerium über die Botschaft in London über ausländerfeindliche Angriffe "gegen Polen und andere Migranten" in Großbritannien beschwert. In Großbritannien lebende Polen werden aufgefordert, xenophobische Vorfälle der Polizei zu melden. Nach dem Referendum waren u.a. Graffitis und Karten mit Parolen wie "Go home, Polish scum" oder "No more Polish Vermin" aufgetaucht. Hier schlägt die auch von der regierenden PiS geschürte Fremdenfeindlichkeit zurück auf die eigene Bevölkerung.

Telepolis (27.6.2016)