Noomachie und Psychoanalyse Teil 1: Vom Ödipuskomplex und der verschlingenden Mutter.
Alexander Dugin erwähnte im Arctogea Manifest Ende der 90er in seiner Literaturliste explizit Carl Gustav Jung. In seinem Buch „Eurasische Mission“ erwähnte er wieder die Psychoanalyse als fundamental wichtigen Theorieblock (neben Existenzialismus und Anderem). Und jüngst wieder in seinem Text „ALTERNATIVE POSTMODERNISM: AN UNNAMED PHENOMENON“.
Dugins Projekt der Noomachie ist wiederum eine Theorie die förmlich von Weitem schon nach freudscher Psychoanalyse „stinkt“. Überlebensgroße Vater und Mutter Figuren, zwischen denen sich der Mensch entscheiden muss (oder wo er auch die gesunde Mitte zwischen Beidem nehmen kann), Kastrationsdrohungen und so weiter. Kein anderes Projekt Dugins wirkt so freudianisch wie dies. Deshalb kann es sich lohnen, einige Ideen der Psychoanalyse im Licht der Noomachie noch einmal zu betrachten.
Sigmund Freud
Neben dem offensichtlichen „ödipalen Bezug“ von Dugins Noomachie gibt es noch eine frühere Ebene in Freuds Entwicklungstheorien, die sehr zur Noomachie passt.
Das Erste ist die orale Phase und der orale Impuls. Und dann spiegelbildlich korrespondierend der anale Impuls und die anale Phase. Platt bedeutet der Orale Impuls erstmal „Ich hab Hunger/Durst“. Aber im weiteren Feld bedeutet er auch „Ich will mir XY einverleiben und mit dem verschmelzen.“ (auch im Sinne von Sich selbst im Gegenüber auflösen.) Sehr viele traditionell weiblich gesehene Rollen und insbesondere die Sexualmagie und das Nutzen entheogener Substanzen wie Pilze, um „sein Ego aufzulösen und Eins mit dem Universum zu werden“, tragen Züge des oralen Impulses. Menschen, die zu bestimmten anderen Menschen sehr anhänglich sind, sich gerne freiwillig in Abhängigkeiten begeben, sich passiv verhalten, verbal überempfindlich sein etc. werden in der Psychoanalyse als orale Persönlichkeiten bezeichnet weil bei ihnen der orale Impuls dominiert.
Gemälde einer römischen Orgie, zu der auch üppige Speisen und Getränke und damit auch Völlerei gehörten, was eindeutig ein oraler Akt der Lustbefriedigung ist.
Der anale Impuls ist im Groben, wie man sich denken kann, wiederum „Ich muss mal auf die Toilette“. Im Allgemeinen bedeutet dieser Impuls aber „xy ist Gefährlich, Schädlich, Eklig etc. Also muss es so schnell es geht weg.“ Im Kern läuft dies aber wiederum auch auf „diese Person ist schädlich. Also muss sie weg“, ergo auf die Freund/Feind Distinktion und damit auf den maskulinen Archetypus des Kriegers heraus. Sowie auf das Gefühl des Ekel. Studien zeigen, dass Ekel wiederum mit konservativen Einstellungen korreliert.[1] Und weil der anale Impuls sehr auf Sauberkeit, Reinheit, Hygiene und Vermeidung von Ekel aus ist, muss das Kleinkind natürlich lernen, seinen Impuls zur Ausscheidung zu kontrollieren und nur dort sein Geschäft zu verrichten, wo es angemessen ist. Denn ansonsten wird es natürlich ganz schnell extrem eklig. Deshalb wird das Kleinkind das erste Mal auch mit Disziplin konfrontiert. Deshalb gelten als Zeichen eines Analcharakters ein starkes Bedürfnis nach Ordnung, Disziplin,Reinheit, Hygiene, sowie Sparsamkeit und Geiz.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, die orale Persönlichkeit ist ein starker Teil des dionysischen und des kybelischen Logos, während die anale Persönlichkeit ein Merkmal des apollonischen Logos ist.[2]
Das ozeanische Gefühl, ein Gefühl von Grenzenlosigkeit, Freiheit, Auflösung aber auch Verbindung mit allem Existierenden, wird von Freud als Ursprung der Religion gesehen. Freud sieht dies aber auch als etwas, was existierte, bevor sich das Ich bildete, während der Embryonalphase besonders stark ist, und was der Mensch danach wiedererlangen will. Dies erinnert teilweise auch an die Noomachie. Die meisten Religionen, die diesesozeanische Gefühl wieder erlangen wollen, haben dabei aber einen großen „maskulinen“ disziplinierenden Aspekt.
Ödipus und die Sphinx (Darstellung auf einer antiken Vase)
Der Sprichwörtliche „Elefant im Raum“ beim Vergleich Noomachie und Psychoanalyse ist aber natürlich der Ödipuskomplex. (Nur mit dem Unterschied, dass bei Dugins Noomachie im Logos der Kybele die „Kastrationsangst“ nicht von der Konkurrenz mit dem Vater, sondern von der Großen Mutter ausgeht.[3]) Dugins Kybele ist aber deutlich ähnlicher zu Jungs „verschlingender Mutter“, eine Form von Mutter/Kind Beziehung, wo die Mutter ihr Kind klein und schwach halten will in der Hoffnung, dass das Kind ewig Kind bleibt, und sie niemals verlassen kann. Also eine übertriebene Mutterliebe, die eher egoistisch ist und auf Kosten des Kindes geht. Diese „verschlingende Mutter“ wird manchmal auch Jocasta-Komplex[4]genannt, benannt nach der Mutter des mythologischen König Ödipus.
Jordan Peterson
Oft wird die verschlingende Mutter mit dem jungschen Archetypus des Puer Aeternus in Zusammenhang gebracht. Berühmtestes Beispiel für Leute, die diesen Zusammenhang ziehen ist Jordan Peterson.[5] Der Puer Aeternus Archetyp, oft auch Peter Pan Syndrom bezeichnet, ist wenn ein Mann auf ewig kleiner Junge bleiben und nie erwachsen werden will. Dugin scheint bei seinem Logos der Kybele einen sehr ähnlichen Schluss zu ziehen und beschreibt die Männer im Logos der Kybele auch als de Facto ewige Kleinkinder. [6] Interessanterweise meint Peterson auch, dass die verschlingende Mutter hinter der Postmoderne steht. [7] Peterson beschreibt auch, dass Hexenfiguren wie bei Walt Disneys Filmen für diese verschlingende Mutter stehen.[8]
Hier ist interessant, dass Herman Wirth Theorien aufstellte, dass es eine matriarchale Urreligion der Germanen gab, und deren Priesterinnen seien die sogenannten Hags gewesen. Im Englischen gibt es das Wort „Old Hag“, was „Alte Hexe“ bedeutet. Und aus dem Wort Hags, Gesprochen Hägs, sei das deutsche Wort Hexe entstanden. Die Hexe ist als Archetyp dafür bekannt, sich auch mit Heilkräutern zu beschäftigen, um Menschen zu verarzten und zu heilen. Aufgaben, die in der Tradition auch dem Mutterarchetypus zugeordnet werden.
Notizen:
[1] Häufige Ekel-Empfindung deutet auf konservative Grundhaltung hin
[2] Interessanterweise ist laut Freud und Lacan die Hysterie und der weibliche Wahnsinn ein Versuch der Frau, gegen den Vater (sowohl konkret als auch archetypisch abstrakt) zu rebellieren und dessen Ordnung der Welt umzustoßen. Dabei würde ein Versuch des Geistes unternommen, die Struktur des Wissens als „Baum“, was von einer zentralen Idee ausgeht, um zu werfen und ein chaotisches Gebilde mit mehreren Anfängen und Enden zu erzeugen. (Dies erinnert frappierend an Deleuze und Guattaris Konzept des Rhizom. ) Laut den beiden ist die anale Persönlichkeit (manchmal auch obsessiv zwanghafter Charakter genannt) das polare Gegenstück zur Hysterie. (Um zu meinem Mark Passio Artikel zurück zu kommen: Es ist interessant, dass Autisten, die ein „extrem männliches Gehirn haben“, laut Simon Baron Cohen, statistisch mit 17 Prozent Wahrscheinlichkeit einen obsessiv zwanghaften Charakter entwickeln. Während bei Nicht-Autisten die Wahrscheinlichkeit 90 Prozent geringer ist.
[3] Der Logos der Kybele erinnert auch entfernt an die freudsche Urhorde aus „Totem und Tabu“, nur dass bei Dugin kein Übervater vor steht (der später von seinen sexuell frustrierten Söhnen beseitigt wird, was zur Einführung der Sexualmoral und des Konzepts der Familie im eigentlichen Sinne, als etwas wo sich beide Eltern um die Aufzucht des Nachwuchs kümmern, führt), sondern eine tyrannische Übermutter.
[4] Unter dem Jocasta-Komplex versteht man das latente sexuelle Verlangen der Mutter für ihren Sohn.
[5] Ein Text von Peterson über die „verschlingende Mutter“: Dr. Jordan Peterson: The Devouring Mother — Understanding the Deep Psychological Archetypes of Consciousness | Video von Peterson zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=xJ471nE-7e8
[6] Dugin hat in seinem Kapitel „Gender in the Fourth Political Theory“ der Vierten Politischen Theorie stellenweise den Puer Aeternus aber wiederum gelobt. Besonders in Form von Gilbert-Lecomte and René Daumal. Hier muss aber angenommen werden, dass das Erwachsenwerden zwei unterschiedliche Formen haben kann. Einmal die Petersonsche Form des Verantwortungsbewussten, zu Taten entschlossenen Menschen welcher der Realität nicht ausweicht, sondern bereit ist, Härten auf sich zu nehmen. Dies kommt der traditionellen Definition des Kriegertums sehr nah. Dann gibt es aber auch das Erwachsen werden als an die Gesellschaft und insbesondere an Heideggers „Gestell“ angepasst zu sein. Man könnte hier auch Jüngers Arbeiter mit einbeziehen. Diese Form des Erwachsenwerdens wäre jemand, der brav dem Tagesablauf folgt, sich nicht beschwert sondern gehorsamst seine Pflicht tut, ohne zu Meckern., nicht selbst denkt und bloß nicht negativ auffallen will. Diese zweite Form des Erwachsenen, die Ted Kaczinsky als „übersozialisiert“ bezeichnet, ist die perfekte Verkörperung von beiden Formen des uneigentlichen Seins bei Heidegger, sowohl der Technikgesellschaft des Gestells als auch des dummen Massenmenschen der im „man“ aufgeht. Jung beschrieb für solche Leute würde symbolisch die Idee des „Maskentragens“ mit stehen. Und die Coronapolitik war 2020 etwas, was dem SEHR entsprach. Es muss deshalb gesagt werden, Dugins Texte wollen also diese zweite Form des „Erwachsenen“ überwinden und die erste Form fördern. Dazu passt auch, dass Peterson seine Ideen von Victor Frankl hat, einem der existenziellen Therapeuten.
[7] Interessanterweise nutzt der neoreaktionäre Autor Michael Anissimov für die Postmoderne Linke und deren Idee, jeder könnte sich als alles definieren, was er will, den Begriff „Sandkasten Gesellschaft“, der in eine ähnliche Richtung geht.
[8] Ein prägnantes Beispiel ist bei Peterson Malefiz/Maleficent aus Dornröschen. Diese sperrt den Prinzen in ihren Kerker ein und als der Prinz zu seiner großen Liebe, der Prinzessin will, wird die Hexe zu einem furchterregenden Drachen und versucht den Prinzen zu töten. Peterson schlug hier vor, die Hexe als verschlingende Mutter und den Prinzen metaphorisch als ihren Sohn zu lesen.