Kann Ungarn eine Brücke zwischen dem Iran und Europa sein?
Da Budapest seine 'Look East'-Politik aktiv umsetzt, wird Teheran in Europa einen potenziell nützlichen Partner finden.
Bei der Unterzeichnung des Protokolls der dritten Sitzung der Gemischten Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Iran und Ungarn am 16. November brachte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó seine Unterstützung für das Recht des Irans auf die friedliche Nutzung der Kernenergie zum Ausdruck.
Auf seiner Facebook-Seite schrieb er außerdem, dass die ungarische Regierung beabsichtigt, den Iran in das System der internationalen Zusammenarbeit einzubinden und dass Budapest die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem sanktionierten Iran ausbauen will, mit dem Ziel, "die Situation zu normalisieren".
Nach der Wiedererlangung der Macht im Jahr 2010 und der Regierungsbildung hat die ungarische Fidesz-Partei als oberste Priorität die Verbesserung der nationalen Wirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Anziehung ausländischer Direktinvestitionen (FDI) definiert. Budapest hat sich nach und nach daran gemacht, die notwendigen rechtlichen Plattformen zu schaffen, über die ausländische Unternehmen Investitionen tätigen können, insbesondere im Industriesektor.
Die ungarische Außenpolitik ist daher stark auf die Entwicklung von Wirtschaftsbeziehungen mit ausländischen Partnern ausgerichtet, um das Wirtschaftswachstum zu erhalten und fortzusetzen und mehr ausländische Direktinvestitionen anzuziehen.
Zwischen 1989 und 2019 erhielt Ungarn rund 97,8 Milliarden USD an ausländischen Direktinvestitionen, vor allem in den Sektoren Banken, Automobil, Softwareentwicklung und Biowissenschaften. Auf die EU entfallen 89 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen.
Ungarns 'offener Osten' Politik
Besonders erwähnenswert sind jedoch die Präsenz der östlichen Länder und die Zunahme des Handels- und Investitionsvolumens in Ungarn. Diese Präsenz ist auf Ungarns Politik der 'Öffnung nach Osten' zurückzuführen, die seit 2012 zu einem der Grundsätze der Außenpolitik und Wirtschaft des Landes geworden ist.
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-2009 und ihre Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft waren einer der Auslöser für die ungarische Regierung, diese Initiative ins Leben zu rufen. Dank dieser Politik ist China zum fünftwichtigsten Handelspartner Ungarns geworden, wobei das Volumen des bilateralen Handels im Jahr 2020 um mehr als 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist.
Ungeachtet des fragwürdigen Erfolgs dieser Politik gibt es zwei Punkte, die Ungarn dazu veranlassen, sie fortzusetzen:
Erstens macht Ungarns Position als Tor zu Westeuropa Budapest zu einem wichtigen Zugangspunkt zu diesen Märkten und potenziell auch zu einem Logistik- und Transportknotenpunkt zwischen der EU und Asien.
Zweitens geht Budapest davon aus, dass eine echte Vertretung der nationalen Interessen Ungarns erst dann möglich sein wird, wenn das Land eine größere Sichtbarkeit in der Welt erreicht hat und die Unterstützung wichtiger internationaler und regionaler Akteure gewinnen kann.
Iran und Ungarn
Die iranisch-ungarischen Beziehungen können nicht von Budapests zentraler Politik des 'Blicks nach Osten' getrennt werden. Ungarn hat einen besonderen Blick auf den Osten, einschließlich Westasien, und betrachtet den Iran als einen wichtigen strategischen Akteur in der Region.
"Die ungarische Regierung hat Irans ausgewogene Haltung in internationalen Foren und die weitere Entwicklung der bilateralen Beziehungen immer unterstützt", sagte Péter Szijjártó im Juli.
Die Zusammenarbeit zwischen Budapest und Teheran wurde in mehreren Bereichen gefördert: Energie, Handel, Migration, Studentenaustausch und Unterstützung für die iranischen Atomverhandlungen.
Im Bereich der Wirtschaft haben der Iran und Ungarn bisher drei Protokolle über wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet. Der größte Teil der Zusammenarbeit betrifft die Bereiche Landwirtschaft, Tierhaltung und Gesundheit. Darüber hinaus ist das Volumen des wirtschaftlichen Handels zwischen dem 2. und 3. Gemischten Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit um 55% gestiegen.
Nach einem kürzlichen Treffen in Budapest kündigte der iranische Finanz- und Wirtschaftsminister Ehsan Khandouzi an, dass die beiden Länder planen, den jährlichen bilateralen Handel auf 100 Millionen Euro zu erhöhen. Darüber hinaus unterzeichneten der Iran und Ungarn Ende 2021 eine Absichtserklärung zur Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in den Bereichen Wasseraufbereitung, Saatgut, Kraftwerke, Tierfutter und Baumaterialien sowie gemeinsame Investitionsmöglichkeiten.
"Wir möchten, dass der Iran so schnell wie möglich zum System der friedlichen Zusammenarbeit innerhalb der internationalen Gemeinschaft zurückkehrt. Wir glauben, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit der erste Schritt für diese Rückkehr sein kann", sagte Szijjártó bei seinem letzten Besuch im Iran.
Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gibt es 2000 iranische Studenten in Ungarn und die Regierung beabsichtigt, 100 iranischen Studenten Stipendien zu gewähren. Budapest hat auch die Rolle des Irans bei der Verhinderung des Zustroms von Migranten nach Ungarn, insbesondere Afghanen, gewürdigt und unterstützt politisch den Erwerb friedlicher Nukleartechnologie durch den Iran.
Die angespannten Beziehungen zwischen Budapest und der Europäischen Union ausnutzen
Aus iranischer Sicht kann Ungarn dem Land helfen, die Sanktionen zu umgehen, in die globalen Märkte einzutreten und als Vermittler zu fungieren, um die kriegerische europäische Politik gegenüber dem Iran zu mildern. Die Spannungen zwischen Budapest und der EU bei der Verabschiedung von Maßnahmen, die in einigen Fällen gegen die eigenen Verfahren und Vorschriften der EU verstoßen, bieten dem Iran auch einen Anreiz, seine strategische Partnerschaft mit Ungarn zu vertiefen, um die Interessen Teherans in Europa zu fördern.
Ungarn und die EU streiten seit Jahren über Themen wie die Unabhängigkeit der Justiz, die Medienfreiheit und die Rechte von Flüchtlingen. Im September erklärten mehrere EU-Gesetzgeber, Ungarn sei zu einem "hybriden Regime der Wahlautokratie" geworden.
Im Gegenzug hat Budapest Brüssel wiederholt vorgeworfen, seine nationalen Interessen zu untergraben und sich in seine Innenpolitik einzumischen. 2018 verabschiedete Ungarn ein Gesetz, das die Hilfe für illegale Asylbewerber unter Strafe stellt und Verstöße mit bis zu einem Jahr Gefängnis ahndet. Die Europäische Union hat die neue Gesetzgebung scharf verurteilt, aber Ungarn blieb standhaft.
Eine Perspektive im Osten
Die ablehnende Haltung der EU gegenüber Ungarn und die Annäherung an den Osten hat Budapest dazu veranlasst, eine positive und proaktivere Haltung gegenüber Ländern wie China, Russland, Iran und in gewissem Maße auch der Türkei einzunehmen.
Derzeit unterhält Ungarn enge wirtschaftliche und energiepolitische Beziehungen zu Russland. Mit seiner Ablehnung des Besuchs des Sonderberichterstatters für Menschenrechte in Russland war Budapest die einzige europäische Hauptstadt, die diesen Standpunkt vertrat.
Ungarn stimmte zwar für zwei Anti-Russland-Resolutionen für die Ukraine aus dem Jahr 2014, lehnte aber auch ein EU-Hilfspaket in Höhe von 18 Milliarden Euro für den krisengeschüttelten Staat ab.
Budapest ist bei der Energieversorgung stark von Moskau abhängig: 85% des Gases und 65% des Öls des Landes werden von Russland geliefert. Im Gegensatz zu anderen energieabhängigen EU-Mitgliedern sind die ungarischen Behörden entschieden und offen gegen Sanktionen gegen Russland, insbesondere im Energiesektor.
Im Hinblick auf die Energieknappheit im Jahr 2022 ermutigte der ungarische Außenminister Europa sogar, sich an Teheran zu wenden: "Ein stärkerer Eintritt des Irans in den globalen Energiemarkt liegt im Interesse aller Länder und Nationen der Welt.
In der Frage des NATO-Beitritts Schwedens und Finnlands hat sich Ungarn - wie auch die Türkei - gegen den Plan ausgesprochen, der sich im Wesentlichen gegen die Erweiterung der NATO nach Europa oder in den Osten richtet.
Die gemeinsamen Positionen Ungarns mit Russland und dem Ostblock überschneiden sich unweigerlich mit einigen der iranischen Politiken. Durch die Koordinierung mit Europa und Westasien kann die Vertiefung der strategischen Beziehungen zwischen Budapest und Teheran zu einem Mittel zur Förderung der gemeinsamen Ziele und Interessen werden.
Gleichzeitig wird sich Ungarn vor möglichen westlichen Sanktionen hüten, wenn es als zu nah am Iran angesehen wird.
Übersetzung von Robert Steuckers