Islamischer Staat: Endkampf in Syrien und im Irak?

05.11.2016

Eine angeblich von al-Baghdadi stammende Audiobotschaft mobilisiert die IS-Anhänger zum Kampf gegen die Türkei und Saudi-Arabien

Es ist absehbar, dass die Tage des Islamischen Staats als einer Organisation, die ein Territorium staatsähnlich verwaltet und terrorisiert, im Irak gezählt sind. Mossul wird eingenommen werden, die IS-Kämpfer werden, sofern sie nicht getötet oder festgenommen werden, untertauchen oder nach Syrien fliehen. Da hier die schiitischen Milizen den Korridor im Westen schließen wollen und dabei Fortschritte erzielen, nimmt der Entscheidungsdruck auf den IS auch angesichts des Widerstands von Teilen der Bevölkerung in Mossul zu, letztlich bis zum Tod zu kämpfen oder abzuziehen.

Der IS hat bereits aufgehört, von Mossul als seiner Hauptstadt zu sprechen. Wie viele IS-Kämpfer noch in der Stadt sind, ist unbekannt, ebenso, ob sich die höchste Führungsriege noch in der Stadt aufhält. Auch der Aufenthaltsort des selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi [Bild], der sich als direkten Nachfahr von Mohammed bezeichnete, ist nicht bekannt. Offenbar hat der IS Mittel gefunden, den Anführer vor den sicher vielen Versuchen zu schützen, die die mächtigen Geheimdienste, allen voran die amerikanischen, mit allen verfügbaren Mitteln von Abhören der Kommunikation über Drohnen bis hin zu Spionen und Informanten unternommen haben, ihn aufzuspüren und zu töten. Das wäre sicherlich geschehen, wenn die Militärs und Geheimdienste auf seine Spur gekommen wären. Das letzte Bild stammt von seinem Auftritt in der Moschee in Mossul, als er das IS-Kalifat ausrief.

Jetzt hat sich angeblich al Baghdadi, der schon oft als tot oder schwer verletzt geschildert wurde, in einer über 30 Minuten langen Audio-Botschaft gemeldet. Zuletzt hatte er sich, wenn er es war, Ende 2015 öffentlich gemeldet und ebenso in einer Audio-Botschaft erklärt, dass die russischen und amerikanischen Luftangriffe des Islamischen Staat nicht geschwächt haben. Zuvor hatte er alle Muslime aufgerufen, in das Kalifat zu kommen. Kurz vor dem Fall von Mossul ruft al-Baghdadi oder derjenige, der sich für ihn ausgibt, dazu auf, nicht zu flüchten: "Zieht euch nicht zurück", sagt die Stimme auf der Aufzeichnung, die die IS-Propaganda-Agentur al-Furqan gestern verbreitete: "Eure Position mit Ehre zu halten, ist tausendmal einfacher als euch in Schande zurückzuziehen."

Von Mossul selbst ist nicht die Rede, so konkret will der IS seine Durchhalteparolen nicht machen, wohl aber von Niniveh. Der Tod führender IS-Mitglieder wie Abu Muhammad al-Adnani oder Abu Muhammad al-Furqan hätten den IS nicht geschwächt, sondern zeigten dessen Stärke. Dass zu einer über das Internet verbreiteten Botschaft gegriffen wurde, um die Anhänger und Kämpfer anzusprechen, könnte davon Zeugnis ablegen, dass die Kommando- und Kommunikationsstrukturen zusammengebrochen sind.

Alle Ungläubigen hätten sich zusammengetan, um gegen den IS als Avantgarde des Glaubens zu kämpfen: "Gottes Feinde von den Juden, Christen, Atheisten, Schiiten, Apostaten und Ungläubigen der ganzen Welt haben ihre Medien, ihr Geld, ihre Armee und ihre Waffen bereitgestellt, um die Muslime und Dschihadisten im Staat Niniveh zu bekämpfen, als sie erkannten, dass er einer der Fundamente des Islam und eines seiner Minarette unter dem Kalifat wurde." Das sei es, "was Gott und sein Botschafter uns versprochen haben". Also wieder einmal ein Endkampf.

Al-Baghdadi verspricht weiter den Sieg, argumentiert mit dem Koran und verliert auch kein Wort mehr über Dabiq, wo eigentlich die Entscheidungsschlacht hätte stattfinden sollen, die vom IS nach der Einnahme durch die von türkischen Truppen unterstützten "Rebellen" nach hinten verschoben wurde. "Die jetzt stattfindende Schlacht und der totale Krieg und der große Dschihad, den der Islamische Staat heute führt, lässt unseren festen Glauben, so Allah will, und unsere Überzeugung nur stärker werden, dass all dies ein Vorspiel des Sieges ist." Ob das die IS-Anhänger und -Kämpfer wirklich bei der Stange hält? Allerdings hat der IS schon hunderte, wenn nicht tausende meist junge Männer dazu bringen können, sich selbst zum vermeintlichen Vorteil des IS zu opfern.

Der Sinn der Ansprache scheint allerdings eher zu sein, die Anhänger auf andere Ziele zu richten und sich mit dem Verlust der Territorien im Irak und auch in Syrien abzufinden. Die Kämpfer werden aufgerufen, in die Türkei einzudringen, dort das "Feuer ihrer Wut" zu zeigen und deren Sicherheit in Angst zu verwandeln, da die Türken nach Syrien eingedrungen seien und dort zum Ziel des Dschihad wurden. Auch gegen Saudi-Arabien müsse mit einem Angriff nach dem anderen gekämpft werden, da sich die Saudis "auf die Seite der ungläubigen Staaten im Krieg gegen den Islam und die Sunna in Syrien und im Irak" gestellt haben. Damit ruft der IS-Chef zum Krieg gegen die beiden Mächte auf, die den IS längere Zeit zumindest geduldet, wenn nicht unterstützt haben. Die Muslimbrüder seien zur "Speerspitze der Kreuzfahrer im Kampf gegen den IS" geworden, heißt es jetzt. Sie seien die "Brüder des Teufels". Und Anhänger, die nicht nach Syrien oder in den Irak kommen können, sollen doch nach Libyen oder in andere Länder gehen, wo sich der IS festgesetzt hat.

Der IS hat sich bereits in Zellen in vielen Ländern verbreitet. Klar wird sein, dass er auch dann, wenn er sein Territorium im Irak und in Syrien ganz verliert, im Untergrund weiter kämpfen wird, wie er dies bereits im Irak gemacht hat, als die US-Streitkräfte den Gründer al-Sarkawi getötet und seine Gruppe, damals al-Qaida im Irak, dezimiert hatten. Allerdings bestand der Erfolg nur vordergründig in militärischen Siegen, sondern vor allem darin, viele Sunniten als Selbstverteidigungskräfte engagiert und vor allem auch bezahlt zu haben. Damit ging die von al-Qaida forcierte Gewalt zurück und verlor an Rückhalt. Erst nachdem der damalige irakische Regierungschef al-Maliki, ein Schiit, der weiterhin einflussreich ist und gegen die jetzige Regierung intrigiert, das Programm gestrichen und die sunnitische Bevölkerung mitsamt ihren politischen Vertretern diskriminierte und unterdrückte, wurde al-Qaida wieder stark, bis sich der IS von al-Qaida in Syrien, also von al-Nusra, abtrennte und selbständig machte.

Im Augenblick sieht es so aus, als ob der Krieg gegen den Islamischen Staat al-Qaida in Syrien stärker und zur mächtigsten Gruppe werden lässt, die mit den meisten anderen "Rebellen" vernetzt ist bzw. diese anführt. Dass sich al-Nusra in Jabhat Fataḥ al-Shām umtaufte, diente dem Zweck, sich vorgeblich von al-Qaida zu distanzieren. Bislang hatte die Strategie Erfolg, im Kampf um Aleppo hat die al-Qaida-Gruppe die Führung übernommen. Die Türkei spricht nur von der Freien Syrischen Armee, die USA wenden sich gegen Russland und Damaskus und setzen sich für die "Rebellen" ein.

Telepolis (4.11.2016)