Neustart in den Beziehungen USA-Russland oder die Befreiung Europas?

05.12.2016

 

In einer unerwarteten Wende der Ereignisse rückte die Möglichkeit einer Normalisierung der russisch-amerikanischen Beziehungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Donald Trumps Sieg in den US Präsidentschaftswahlen fällt nach einer Umfrage des Levada Centers mit einem 21% Anstieg in der Anzahl der Russen, welche einen Ausgleich mit Westen unterstützen, auf nunmehr 71% zusammen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass bis vor einem Monat noch 48% der Russen den Ausbruch eines Dritten Weltkrieges zwischen Russland und den USA für wahrscheinlich hielten, dann ist diese Entwicklung fast genauso bedeutend wie der Sieg Trumps selbst.

Sofort nach Trumps Wahlsieg gab Putin höchstpersönlich bekannt, dass „(...) Russland dazu bereit ist und eine vollkommene Normalisierung der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten wünscht.“, womit er den Wandel in den Beziehungen deutlicher herausstrich, als es Trump selbst könnte, der gerade ins US-amerikanische Establishment gewählt wurde. Kurz vor den Wahlen gab der Patriarch von Moskau und ganz Russland Kyrill vor dem World Russian People's Council bekannt, dass „(...) die Möglichkeit den Dialog fortzusetzen und Brücken zu bauen heute nicht hoffnungslos erscheint... Wir wissen, dass abseits der offiziellen Sichtweise, welche uns von den Medien vorgegaukelt wird, ein anderes Amerika und ein anderes Europa existieren.“ Damit einhergehend legen Wahlen und politische Entwicklungen in verschiedenen europäischen Ländern, wie auch etwa Bulgarien und Moldau die Russland historisch nahe stehen, nahe, dass die russisch-europäischen Beziehungen ebenso bis zu einem gewissen Grad in der unmittelbaren Zukunft normalisiert werden könnten.

Die für den 4 Dezember festgelegten Präsidentschaftswahlen und die französischen Präsidentschaftswahlen 2017 werden wahrscheinlich jenen Kandidaten den Sieg bringen, die aus dem ein oder anderen Grund die Beziehungen zwischen ihren eigenen Ländern und Russland, aber auch der ganzen EU, reparieren wollen.

Folglich begann man sich in der Informationssphäre folgende beängstigende Frage zu stellen: Werden Russland und der Westen sich miteinander arrangieren können? Alternativ dazu kam die populäre Phrase von der Möglichkeit der Normalisierung oder der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ins Spiel. Die Frage selbst ist aus vielerlei Gründen falsch formuliert. Erstens ist der Westen, trotz populärer Fehlannahmen, ein vielschichtiges und im Inneren widersprüchliches Phänomen dass nicht als ein einheitliches Subjekt oder eine solche in Beziehung zu Russland gestellt werden kann. Natürlich wird dieser Begriff zum Zweck der prägnanten Formulierung und Mangels einer passenden Alternative verwendet. Aber die zugrunde liegende Realität ist wichtig. Wir beschäftigen uns mit zwei verschiedenen Entitäten: Den Vereinigten Staaten und Europa. Die Vereinigten Staaten können nicht anders, als Russlands Hauptfeind im Sinne Carl Schmitts zu sein. Sie repräsentieren den Gipfel des geopolitischen Atlantismus, die hegemoniale, totalitäre Ideologie des Liberalismus und die zivilisatorische Mission des Westens, die sogenannte Moderne, welche historisch bis zum Ende des europäischen Mittelalters zurückreicht. Die USA kennen keine andere Geschichte. Russland andererseits verkörpert inhärent das qualitative Gegenteil: geopolitischen Kontinentalismus, Eurasismus und die zivilisatorische Mission der Tradition.

All historischen Inkarnationen Russlands und der USA haben bis zu einem gewissen Grad diese manifesten Konstanten verkörpert. Europa andererseits ist nicht die USA nicht notwendigerweise Teil des Westens im vorher beschriebenen Sinne. Das amerikanische Projekt ist ein Sprössling des Niedergangs der „Europäischen Zivilisation“, der Ablehnung Europas und der Degradierung des Kontinents, seiner Tradition, seiner geopolitischen Neigungen, seines Logos und seiner Beiträge zur Geschichte der Menschheit. Europe befindet sich in keinem fundamentalen Antagonismus zu Russland, aber es ist sein natürlicher Partner und unter den richtigen Umständen die Arterie des Westen und des Körpers Großeurasiens. Geopolitisch gesprochen verkörpert Europa das Rimland. Heute ist Europas eigentlich Existenz im wahrsten Sinne des Wortes in Frage gestellt und im Zusammenhang der geopolitischen und eschatologischen Konfrontation zwischen Eurasien und den Vereinigten Staaten erscheint es immer klarer, dass Europas Weg aus dem Abgrund in einer Partnerschaft mit Russland und neuen Integrationsprojekten Eurasiens begründet liegt, welche Amerika endgültig ausschließen und es endgültig reif für die Pension von seinem Hypermachtstatus machen. Folglich müssen wir die Dinge beim Namen nennen und diplomatische Klischees dekodieren, wenn wir uns mit der Frage nach den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen beschäftigen. Wie im Falle der amerikanisch-russischen Beziehungen, eröffnet die Präsidentschaft Trumps die hoffnungsvolle Möglichkeit diesen existenziellen Antagonismus auf der Basis einer pragmatischen, gegenseitig anerkannten Rivalität, geopolitischem Realismus in der Außenpolitik und kurzzeitiger Kooperation zu entschärfen um die verpfuschte Politik der vorherigen US-Regierung im Nahen Osten zu revidieren. Zusammengefasst kann man sagen, dass sie die Möglichkeit des Ausbruches eines Dritten Weltkrieges in der einen oder anderen Form zwischen beiden Staaten verhindert. Russland und die USA können miteinander zusammenarbeiten und sollten zum Wohle der Weltsicherheit miteinander auskommen, aber ihre gegenseitige Annäherung bedeuet notwendigerweise die Beschränkung der existenziellen Mission des einen oder anderen Staates. Ob dies in der Teilung Russlands, der Fragmentierung der Vereinigten Staaten oder das Zurückschrumpfen ihrer globalen Hegemonialpläne von der Pax Americana zur Pan Amerciana resultieren wird, welche bestimmte Wurzeln in der US-amerikanischen Geopolitik hat, ist die offene Frage, welches es im geopolitischen Endkampf des 21 Jahrhunderts zu entscheiden gilt. Aber die eigentliche Frage ist Europa. Europa und Russland haben nicht nur allen Grund um miteinander zusammenzuarbeiten, Europas Schicksal selbst ist von einer solchen Zusammenarbeit abhängig.

Europa und seine nationalen Identitäten sind in einer Krise, welche folglich jegliches Potenzial für einen positiven, konstruktiven Wandel des neoliberalen ökonomischen Modells der EU – welches von den USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges installiert wurde – unmöglich macht. Diese ökonomischen Fesseln unterjochen nicht nur die stolzen Nationen Europas, welches nun als „Peripherie“ beschimpft werden, und binden sie an die atlantistischen Bollwerke innerhalb der EU, indem sie Europa als Ganzes endgültig zur US Kolonie machen und den Launen der Finanzoligarchie ausliefern. Andererseits bieten Russland und seine verbündeten Integrationsprojekte der EU ein einfacheres Leben mit einem Auge auf Europas wertvolle Vergangenheit und eine konstruktive Zukunft als wiederhergestellter Pol in einer multipolaren Welt, wohingegen die US-amerikanische Hegemonie sich wirtschaftlich und geopolitisch in der Krise befindet. Wie die amerikanische Zeitschrift Foreign Policy feststellt, sind die einzigen Kräfte die Europa von einem Kurswechsel abhalten personifiziert im Angesicht der immer mehr an Zustimmung verlierenden Angela Merkel, die zunehmend mit Fragen nach der Europäischen Integration und den ihr involvierten Akteuren konfrontiert wird. Ohne die Hilfe ihre atlantistischen Herren sind die Führer der EU zunehmend verwirrt und hilflos zurückgelassen im Angesicht dieses Dilemmas. Diese Fragen werden von anti-atlantistischen und pro-Europäischen („pro-russischen“) Initiativen aller Schattierungen am Kontinent gestellt.

Die sich verändernde politische Landschaft Europas legt nahe, dass die russisch-europäischen Beziehungen die Möglichkeit haben sich zu verbessern, eine Tatsache, die man bis zu einem gewissen Grad dem „Trump Effekt“, also dem Atemraum zuschreiben kann, welcher sich nun für viele europäische Länder im Zuge der Wahl öffnet. Der Aufstieg politischer Parteien und Bewegungen, welche den Atlantismus und Liberalismus ablehnen und die steigende Wahrscheinlichkeit, dass diese Wahlsiege in zahlreichen Wahlen erreichen können, stellt einen Schlüsselfaktor in diesem Prozess dar. Die Tatsache, dass Europas souveränistische Parteien und Kandidaten in einheimischen Zeitungen, egal ob links oder rechts, oft als „prorussisch“ bezeichnet werden und wegen der Krim verhängten Sanktionen wiederum als anti-Russisch (und im Endeffekt antieuropäisch) spricht Bände. Der Aufstieg des „alternativen“ (wahren) Europas, beschleunigt von erzwungenen Veränderungen in der bestehenden Struktur der EU Elite, ist mittlerweile ein Prozess, der ein unverleugenbares Momentum gewinnt.

Der „Trump Effekt“ könnte paradoxe Folgen nach sich ziehen. Er könnte dazu führen, dass Europa wieder „great again“ wird. Es wird keine „Normalisierung“ oder „Restauration“ von Beziehungen geben – diese Beziehungen werden entweder graduell reformiert oder könnten, sobald die Quantität effektiv in Qualität umschlägt, revolutioniert werden. Das Endziel ist ein Europa von Lissabon bis Vladivostok, nicht von Budapest bis Los Angeles. Im Lichte dieser Erkenntnis kann eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen nur ein verändertes Europa und distanzierte USA bedeuten. Die diplomatischen Noten, der Handel und die ausgetauschten Gesten zwischen Washington und Moskau sind ein bloßer Nebenschauplatz. Wir erleben das Heraufdämmern der Multipolaren Welt, welche mit der Befreiung Europas beginnt, nicht mit einem Neustart der Beziehungen mit den USA.