Der Krieg gegen Rußland in seiner ideologischen Dimension
Der Krieg gegen Rußland in seiner ideologischen Dimension
(Analyse nach der Vierten politischen Theorie)
Der kommende Krieg als Konzept
Der Krieg gegen Rußland ist die derzeit meistdikutierte Angelegenheit im Westen. Noch ist er Vorschlag und Möglichkeit. Er kann Wirklichkeit werden, abhängig von den Entscheidungen aller im ukrainischen Konflikt Beteiligten – Moskau, Washington, Kiew, Brüssel. Ich möchte hier nicht alle Aspekte und die Geschichte dieses Konflikts diskutieren. Stattdessen schlage ich eine Analyse seiner tiefen ideologischen Wurzeln vor. Meine Sicht der wesentlichen Ereignisse basiert auf der Vierten Politischen Theorie, deren Prinzipien ich in meinem gleichnamigen Buch beschrieben habe, welches vor einigen Jahren im Verlagshaus Arktos auf Englisch erschienen ist.
So werde ich den Krieg des Westens mit Rußland nicht bezüglich seiner Risiken, Gefahren, Probleme, Kosten oder Konsequenzen untersuchen, sondern seine ideologische Bedeutung im globalen Maßstab. Ich werde über den Sinn eines solchen Krieges nachdenken, nicht über den Krieg selbst, real oder virtuell.
Die Essenz des Liberalismus
Im modernen Westen gibt es eine herrschende, dominante Ideologie – den Liberalismus. Er hat viele Typen, Versionen und Formen, viele Schattierungen, doch die Essenz ist stets die gleiche. Der Liberalismus hat in seiner inneren Grundstruktur folgende axiomatische Prinzipien:
· anthropologischen Individualismus (das Individuum als Maß aller Dinge);
· Progressismus (die Welt strebt zu einer besseren Zukunft, die Vergangenheit ist stets schlechter als die Gegenwart);
· Technokratie (die technische Entwicklung und effektive Ausübung werden als besonders wichtig zur Bewertung der Natur einer Gesellschaft betrachtet);
· Eurozentrismus (Euro-amerikanische Gesellschaften werden als Standardmaßstab für den Rest der Menschheit akzeptiert);
· die Wirtschaft als Schicksal (freie Marktwirtschaft ist die einzige Form eines normativen Wirtschaftssystems – alle anderen Typen sind zu reformieren oder zu zerstören);
· Demokratie ist die Herrschaft der Minderheiten (welche sich gegen die stets zum Abfall in den Totalitarismus neigende Mehrheit verteidigen müssen, “Populismus”);
· die Mittelklasse ist der einzig real existierende soziale Akteur und universelle Norm (unabhängig vom Fakt, ob die Person diesen Status bereits erreicht hat oder sich auf dem Weg dahin befindet, Mittelklasse zu werden; für einen Moment zu repräsentieren, wäre Mittelklasse);
· eine Welt, Globalismus (menschliche Wesen seien essentiell gleich, mit nur einem Unterschied – dem individuellen – die Welt sollte auf individueller Basis integriert werden, Kosmopolitismus – die Weltbürgerschaft).
Dieser Wertekern des Liberalismus ist eine Manifestation einer der drei Tendenzen mit Ursprung in der Aufklärung, neben Kommunismus und Faschismus, die alternative Interpretationen des gleichen Geistes der Modernität boten. Während des 20. Jahrhunderts hat der Liberalismus seine Rivalen besiegt und wurde nach 1991 die einzig herrschende Ideologie im Weltmaßstab.
Die einzige freie Wahl im Königreich des globalen Liberalismus war die zwischen rechtem Liberalismus, linkem Liberalismus oder radikalem Liberalismus, inklusive rechtsradikalem Liberalismus, linksradikalem Liberalismus und sehr radikalem Liberalismus. So wurde der Liberalismus als Betriebssystem der westlichen Gesellschaften und aller anderen Gesellschaften, die sich in der westlichen Einflußzone fanden, installiert. Es ist seit diesem Moment der gemeinsame Nenner jedes politisch korrekten Diskurses, das Zeichen jener, die vom politischen Mainstream akzeptiert werden, oder in die Bedeutungslosigkeit verwiesen. Die konventionelle Weisheit selbst wurde liberal.
Geopolitisch war der Liberalismus in das US-zentrierte Modell eingeschrieben, wo Angelsachsen den ethnischen Kern bildeten und die atlantizistische euro-amerikanische Partnerschaft, NATO, den strategischen Kern des Weltsicherheitssystems darstellte. Weltsicherheit wurde mit der Sicherheit des Westens und in letzter Instanz mit amerikanischer Sicherheit gleichgesetzt. So ist Liberalismus nicht nur ideologische, sondern auch politische, militärische und strategische Macht. Die NATO ist in ihren Wurzeln liberal. Sie verteidigt liberale Gesellschaften, kämpfend für Liberalismus.
Liberalismus als Nihilismus
Es gibt einen Punkt in der liberalen Ideologie, welcher für die aktuelle Krise verantwortlich ist. In seinem Kern ist der Liberalismus abgrundtief nihilistisch. Der vom Liberalismus verteidigte Wertekanon ist essentiell an die Hauptthese gebunden – Freiheit, Befreiung. Doch die Freiheit in der liberalen Vision ist eine wesentlich negative Kategorie. Sie behauptet, frei zu sein von (J.S. Mill), nicht frei für. Dies ist nicht zweitrangig, sondern die Essenz des Problems. Liberalismus ist Kampf gegen alle Formen kollektiver Identität, gegen alle Arten von Werten, Projekten, Strategien, Zielen, Enden usw., welche kollektivistisch oder wenigstens nicht-individualistisch wären. Dies ist der Grund, warum einer der wichtigsten Theoretiker des Liberalismus, Karl Popper (F. v. Hayek folgend),in seinem wichtigen Buch “Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde” (von G. Soros als seine persönliche Bibel betrachtet) erklärt, daß Liberale jegliche Ideologie oder politische Philosophie (von Platon und Aristoteles bis Marx und Hegel) bekämpfen müßten, die der menschlichen Gesellschaft ein gemeinsames Ziel, gemeinsame Werte, gemeinsamen Sinn vorschlagen würde. Jedes Ziel, jeder Wert, jegliche Bedeutung in der liberalen (offenen) Gesellschaft sollte streng individuell sein. Deshalb sind die Feinde der offenen Gesellschaft konkret (die faktische nach-1991 westliche Gesellschaft und globale Norm für den Rest der Welt wird als genau das liberale Modell der offenen Gesellschaft angesehen). Hauptfeinde sind Kommunismus und Faschismus (beide Ausleger der selben Aufklärungsphilosophie mit zentralen nicht-individuellen Konzepten – Klasse im Marxismus, Rasse im National-Sozialismus, Nationalstaat im Faschismus). Somit ist der Sinn des liberalen Kampfes gegen die bestehenden modernen Alternativen (Faschismus und Kommunismus) recht klar. Liberale behaupten, die Gesellschaft von Faschismus und Kommunismus, von zwei großen modernen Formen des (explizit nicht-individualistischen) Totalitarismus zu befreien. Der Kampf des Liberalismus im Prozeß der Beseitigung der nicht-liberalen Gesellschaften ist recht bedeutsam: er gewinnt seinen Sinn aus dem Fakt der bloßen Existenz von Ideologien, die sich explizit weigern, das Individuum als höchsten Wert anzuerkennen. Es ist ziemlich klar, wogegen der Kampf ist. Befreiung von etwas ist anvisiert. Doch der Fakt, daß die Freiheit (wie von Liberalen verstanden) eine essentiell negative Kategorie ist, wird hier nicht deutlich wahrgenommen. Der Feind ist hier und konkret. Dieser bloße Fakt gibt dem Liberalismus konkreten Inhalt. Dort ist eine nicht-offene Gesellschaft, und ihre faktische Existenz ist genug, um den Prozeß der Befreiung zu rechtfertigen.
Unipolare Periode: Gefahr der Implosion
1991, als die UDSSR als letzter Gegner des westlichen Liberalismus gefallen war, erklärten einige Westler (wie F. Fukuyama) das Ende der Geschichte. Durchaus logisch: es gab keinen erklärten Feind der offenen Gesellschaft mehr – somit keine Geschichte, die während der Moderne genau der Kampf zwischen drei politischen Ideologien (Liberalismus, Kommunismus und Faschismus) um das Erbe der Aufklärung war. Das war, strategisch gesprochen, der unipolare Moment (Ch. Krauthammer). Diese Periode von 1991-2014, mit dem Mittelpunkt der Attacke Bin Ladens gegen das WTC – war wirklich die Periode der globalen Vorherrschaft des Liberalismus. Die Axiome des Liberalismus wurden von den geopolitischen Hauptakteuren akzeptiert – inklusive China (in der Wirtschaft) und Rußland (in Ideologie, Wirtschaft, politischem System). Es gab Liberale und werdende Liberale, noch nicht Liberale, noch nicht ausreichend liberale Liberale usw. Die wirklichen und ausgesprochenen Ausnahmen waren wenige (Iran, Nordkorea). So wurde die Welt liberal durch ihre ideologische Axiomatik.
Dies war genau der wichtigste Moment in der Geschichte des Liberalismus. Er hatte seine Feinde besiegt, doch sie gleichzeitig verloren. Liberalismus ist essentiell die Befreiung, der Kampf gegen das, was nicht liberal ist (noch oder gar nicht). So bekam der Liberalismus seine wahre Bedeutung, seinen Inhalt durch seine Feinde. Wenn die Wahl Nicht-Freiheit (repräsentiert in der konkreten totalitären Gesellschaft) oder Freiheit ist, wählen viele die Freiheit und überlegen nicht, Freiheit wofür, Freiheit, um was zu tun... Wenn es eine nicht-liberale Gesellschaft gibt, ist der Liberalismus positiv. Er beginnt erst nach dem Sieg, seine negative Essenz zu zeigen.
Nach dem Sieg von 1991 schritt der Liberalismus in seine implosive Phase. Nach dem Sieg über Kommunismus wie über Faschismus, blieb er allein übrig. Ohne zu bekämpfenden Feind. Und dies war der Zeitpunkt, den inneren Kampf zu starten, die liberale Säuberung liberaler Gesellschaften, den Versuch, die letzten nicht-liberalen Elemente zu vernichten – Sexismus, politische Inkorrektheit, Ungleichheit der Geschlechter, jegliche Reste nicht-individueller Dimensionen von Institutionen wie Staat, Kirche usw. So braucht der Liberalismus den Feind, um davon zu befreien. Ansonsten verliert er den Inhalt, sein impliziter Nihilismus tritt hervor. Der absolute Triumph des Liberalismus ist sein Tod.
Das ist die ideologische Bedeutung der Finanzkrisen von Anfang 2000 und von 2008. Die Erfolge und nicht die Mißerfolge der neuen, rein finanziellen Ökonomie (des Turbokapitalismus gemäß G. Lytwak) sind verantwortlich für ihren Kollaps. Die Freiheit, alles zu tun, was Du willst, doch nur auf der individuellen Ebene, führt zur Implosion der Persönlichkeit. Der Mensch tritt ein ins infra-menschliche Reich, in unter-individuelle Gebiete. Als unter-individueller Traum, die Freiheit von allem. Das ist die Verflüchtigung des Menschen. Das Reich des Nichts als letztes Wort des totalen Sieges des Liberalismus. Postmodernismus bereitet das Terrain für dieses posthistorische, selbstbezogene Recycling von Un-Sinn.
Der Westen bedarf des Feindes
Sie können hier fragen, was zur Hölle all dies mit dem (vermutlich) kommenden Krieg gegen Rußland zu tun hat. Ich bin nun bereit, zu antworten.
Der Liberalismus hat im globalen Maßstab gesiegt. Es ist der Fakt von 1991. Und er hat begonnen, sogleich zu implodieren. Er ist an seinem Schlußpunkt angelangt und startet mit der Selbstliquidierung. Die Massenmigration, der Zusammenstoß der Kulturen und Zivilisationen, die Finanzkrise, der virtuelle Terrorismus, das Wachsen des Ethnismus sind Merkmale des sich nähernden Chaos. So gefährdet dieses Chaos die Ordnung. Jede Art von Ordnung, einschließlich der liberalen Ordnung selbst. Je erfolgreicher der Liberalismus ist, desto näher kommt er seinem Ende. Und dem Ende der gegenwärtigen Welt. Hier haben wir es mit der nihilistischen Essenz der liberalen Philosophie zu tun, mit dem Nichts als dem inneren (me)ontologischen Prinzip der Freiheit von. Arnold Gehlen, deutscher Anthropologe, definierte den Menschen zu Recht als Mangelwesen. Der Mensch an sich ist nichts. Er nimmt alles, woraus sich seine Identität zusammensetzt, aus Gesellschaft, Geschichte, Volk, Politik. Wenn er also zu seiner reinen Essenz zurückkehrt, erkennt er dort nichts. Der Abgrund verbirgt sich hinter den fragmentierten Trümmern der Gefühle, vagen Gedanken, unklaren Verlangens. Die Virtualität untermenschlicher Gefühle ist der dünne Schleier, dahinter ist absolute Dunkelheit. So ist die deutliche Entdeckung dieser nihilistischen Grundlage der menschlichen Natur die letzte Leistung des Liberalismus. Doch dies ist das Ende. Das Ende auch für jene, welche den Liberalismus für ihre eigenen Zwecke nutzen, welche Nutznießer der liberalen Expansion sind, die Herren der Globalisierung. Jede Ordnung fällt in solcher Notlage des Nihilismus. Auch die liberale Ordnung.
Um die Herrschaft der Nutznießer des Liberalismus zu sichern, müssen sie also einen Schritt zurück gehen. Der Liberalismus wird seinen Sinn nur wieder in der erneuten Bezwingung einer nicht-liberalen Gesellschaft erhalten. Ein Schritt zurück ist der einzige Weg, um die Reste der Ordnung zu retten, den Liberalismus vor sich selbst zu schützen. Da erscheint Putins Rußland am Horizont. Nicht antiliberal, nicht totalitär, nicht nationalistisch, nicht kommunistisch. Eher noch nicht zu liberal, nicht völlig liberal-demokratisch, nicht ausreichend kosmopolitisch, nicht so radikal antikommunistisch. Doch auf dem Weg, liberal zu werden. Schritt für Schritt. Im Prozeß der Gramscischen Anpassung an die Hegemonie, transformismo.
Doch in der globalen Agenda des Liberalismus (USA, NATO) ist der Bedarf nach einem anderen Darsteller, nach einem anderen Rußland, welches die Gefechtsordnung des liberalen Lagers rechtfertigen würde, hilft bei der Mobilisierung des Westens, der aufgrund innerer Probleme auseinanderfällt, das unvermeidliche Hereinbrechen des inneren Nihilismus etwas verzögert und somit den Liberalismus vor seinem folgerichtig kommenden Ende bewahrt. Das ist, warum sie Putin so dringend benötigen, Rußland, Krieg. Es ist die einzige Lösung, um Chaos im Westen zu verhindern und die Reste der Ordnung zu retten.
Rußland soll in diesem ideologischen Schauspiel die bloße Existenz des Liberalismus rechtfertigen, denn es ist der Feind, welcher dem Kampf für die offene Gesellschaft Bedeutung verleiht, hilft, sie zu konsolidieren und sich selbst global zu behaupten.
Der radikale Islam (al-Qaida) war der andere Kandidat für diese Rolle, doch einem solchen Feind fehlte die Statur. Er wurde nur auf lokaler Ebene benutzt. Er rechtfertigte die Intervention in Afghanistan, die Besetzung des Irak, half beim Sturz Ghaddafis, beim Starten des Bürgerkriegs in Syrien. Aber er war zu schwach und ideologisch primitiv, um die wahre Herausforderung, derer die Liberalen bedurften, darzustellen.
Rußland – traditioneller geopolitischer Feind der Angelsachsen – ist als Gegner weit ernstzunehmender. Es erfüllt sämtliche Anforderugen – Geschichte und Erinnerung an den Kalten Krieg sind noch sehr lebendig in den Köpfen. Der Haß auf Rußland ist mit vergleichsweise einfachen Mitteln überaus leicht hervorzurufen. Darum denke ich, daß Krieg gegen Rußland möglich ist. Er ist ideologisch notwendig als letztes Mittel, um die finale Implosion des liberalen Westens zu verzögern. Ein Schritt zurück.
Die liberale Ordnung retten
Verschiedene Ebenen dieses Konzepts “Krieg mit Rußland” bedenkend, will ich einige Punkte andeuten.
1. Krieg mit Rußland hilft, die allgemeine Unordnung im globalen Maßstab zu verzögern. Die Mehrheit der in die liberale Ökonomie eingebundenen Länder, die Axiome und Institutionen der liberalen Demokratie teilend und abhängig oder direkt kontrolliert von USA und NATO, wird sich einmal mehr konsolidieren, auf der Seite des liberalen Westens in seinen Bestrebungen gegen den nicht-liberalen Putin. Es kann als Bekräftigung des Liberalismus als positiver Identität dienen, wenn diese Identität sich ob ihrer nihilistischen Essenz auflöst.
2. Krieg mit Rußland würde die NATO stärken und in erster Linie ihre europäischen Teile, welche verpflichtet sein werden, einmal mehr die amerikanische Übermacht als etwas Positives und Nützliches zu betrachten, statt als obsoletes Überbleibsel des Kalten Krieges. Aus Furcht vor den kommenden bösen Russen werden die Europäer sich selbst wieder als loyal zu Amerika, ihrem Retter, empfinden. So wird die führende Rolle der USA in der NATO bekräftigt.
3. Die EU zerfällt. Die gemeinsame Bedrohung könnte sie vom letztlichen Bruch bewahren, wenn die Mobilisierung der Gesellschaften die Menschen einmal mehr bereitwillig ihre Freiheiten und Werte unter dem Druck des Putin-Reiches verteidigen läßt.
4. Die Ukraine und die Kiewer Junta brauchen den Krieg, um die von Maidan auf juristischer und verfassungsmäßiger Ebene begangenen Missetaten zu rechtfertigen und zu vertuschen, die Demokratie abzuwickeln (diese würde ihre Herrschaft in den südostlichen, vorwiegend pro-russischen Distrikten erschweren) und die Herrschaft und nationalistische Ordnung durch besondere Maßnahmen einzusetzen.
Das einzige Land, das keinen Krieg wünscht, ist Rußland. Doch Putin kann der radikal anti-russischen Regierung nicht ein Land mit zur Hälfte russischer Bevölkerung und vielen pro-russischen Zonen überlassen. Wenn er dies zuläßt, wird er auf internationaler und nationaler Ebene erledigt sein. So akzeptiert er den Krieg zögerlich. Und einmal eingetreten, bleibt für Rußland keine andere Lösug, als ihn zu gewinnen.
Ich möchte nicht über strategische Aspekte des Krieges spekulieren, dies überlasse ich anderen, qualifizierten Analysten. Ich möchte einige Ideen bezüglich ideologischer Aspekte dieses Krieges formulieren.
Putins Darstellung
Der Sinn dieses Krieges gegen Rußland ist der letzte Versuch, den Liberalismus vor der Implosion zu bewahren. Wenn also Liberale Putins Rußland ideologisch definieren müssen, identifizieren sie es offensichtlich mit dem Feind der offenen Gesellschaft. Doch im Wörterbuch der modernen Ideologien gibt es nur drei Hauptformen. Liberalismus, Kommunismus und Faschismus (Nationalsozialismus). Es ist recht klar, daß der Liberalismus von allen außer Rußland repräsentiert wird (USA, NATO, Euromaidan, Kiewer Junta). Also bleiben Kommunismus und Faschismus. Putin ist Sowjet, KGB-Kommunist. Dieses Bild wird der dümmsten Sorte westlichen Publikums verkauft werden. Doch einige Aspekte patriotischer Reaktionen der pro-russischen und anti-banderitischen Bevölkerung (Verteidigung von Lenindenkmälern, Stalinportraits und Denkmälern des Zweiten Weltkriegs) könnten die Idee bestätigen. Nazismus und Faschismus sind zu weit entfernt von Putin und dem modernen Rußland, doch der russische Nationalismus und russischer Imperialismus werden zur Schaffung eines Bildes vom großen Bösen heraufbeschworen werden. Also ist Putin Nationalist, Faschist und Imperialist. Das wird im Westen wirken. Putin kann beides sein – gleichzeitig auch Kommunist und Bolschewist, so wird er als National-Bolschewist dargestellt werden (wobei dies der komplett unkundigen, post-modernen westlichen Öffentlichkeit schwer zu verkaufen sein wird). Es ist offensichtlich, daß Putin nichts davon ist – nicht Kommunist, noch Faschist, noch beides. Er ist politischer Realist (im Sinne internationaler Beziehungen – dies ist, warum er Kissinger mag und Kissinger im Gegenzug ihn mag). Er hat keinerlei Ideologie. Doch er wird verpflichtet sein, in ein ideologisches Raster zu passen. Es ist nicht seine Wahl. So sind die Spielregeln. Im Verlauf des Krieges gegen Rußland wird Putin seinen Stempel bekommen und das ist der interessanteste und heftigste Aspekt der Situation.
Hauptsächlich werden Liberale versuchen, Putin ideologisch als Schatten der Vergangenheit zu definieren, als Vampir, “manchmal kehren sie zurück”. Der wahre Grund des Schrittes zurück ist ja, den Liberalismus vor der finalen Implosion zu retten. Die Hauptbotschaft ist, daß der Liberalismus wirklich lebendig und voller Kraft ist, denn es gibt etwas in der Welt, von dem wir alle frei sein müssen. Rußland wird das Objekt der Befreiung. Das Ziel ist, die Ukraine (Europa, die Menschheit) von Rußland zu befreien, und am Ende Rußland selbst von seiner nicht-liberalen Identität. Damit haben wir den Feind. Ein solcher Feind gibt dem Liberalismus einmal mehr den Existenzgrund. Also ist Rußland die Herausforderung der vor-liberalen Vergangenheit, in die liberale Gegenwart geworfen. Ohne solche Herausforderung ist kein Leben mehr im Liberalismus, keine Ordnug mehr in der Welt, alles löst sich auf und implodiert. Mit ihr erhält der fallende Gigant des Globalismus neue Kraft. Rußland ist da, um die Liberalen zu retten.
Doch um dies zu tun, sollte Rußland ideologisch als etwas Prä-liberales gekennzeichnet werden. So sollte es ein kommunistisches, faschistisches oder wenigstens national-bolschewistisches Rußland sein. Das ist die ideologische Regel. So enthält der Kampf mit Rußland eine tiefere Frage als die, nur zu erwägen, ob zu kämpfen oder nicht zu kämpfen – Rußland ideologisch einzuordnen. Dies wird von innen und außen getan werden. Sie werden versuchen, Rußland zu verpflichten, Kommunismus oder Nationalismus anzunehmen, oder werden Rußland behandeln, als wäre es kommunistisch oder nationalistisch. Es ist ein Etikettierungsspiel.
Post-liberales Rußland: erster Krieg der Vierten Politischen Theorie
Was ich als Schlußfolgerung vorschlage, ist Folgendes:
Wir müssen uns bewußt der Versuchung widersetzen, Rußland als prä-liberale Macht zu zeichnen. Wir dürfen den Liberalen nicht erlauben, sich vor ihrem unvermeidlich nahenden Ende zu retten. Wir haben es nicht zu verzögern, sondern zu beschleunigen. Zu diese Zweck dürfen wir Rußland nicht als prä-liberales Gebilde darstellen, sondern als post-liberale Revolutionsmacht, die für eine andere Zukunft für alle Menschen auf dem Planeten streitet. Der russische Krieg wird nicht für russische nationale Interessen sein, sondern für eine gerechte multipolare Welt, für wahre Würde und echte positive Freiheit – nicht Freiheit von, sondern Freiheit für. Rußland wird in diesem Krieg zum Beispiel der Verteidigung der Tradition, konservativer organischer Werte, echter Befreiung von genau der offenen Gesellschaft und ihren Nutznießern – der globalen Finanzoligarchie. Dieser Krieg ist nicht gegen Ukrainer oder Teile der Ukrainer, noch gegen Europa. Er ist gegen die liberale Welt(un)ordnung und wir haben nicht vor, den Liberalismus zu retten; wir werden ihn ein für alle Male töten. Die Moderne war essentiell falsch. Wir sind am Schlußpunkt der Moderne angelangt. Für die, welche die Moderne zu ihrem eigenen Schicksal gemacht haben oder dies unbewußt zuließen, wird es ein wirkliches Ende bedeuten. Doch für die, welche auf der Seite der ewigen Wahrheit der Tradition stehen, von Glauben, von spiritueller und unsterblicher menschlicher Essenz, wird es der Neuanfang sein.
Der wichtigste Kampf ist nun der Kampf für die Vierte Politische Theorie. Sie ist unsere Waffe, mit ihr werden wir verhindern, daß Putin nach liberalen Wünschen definiert wird und festigen Rußland als erste post-liberale ideologische Macht gegen den nihilistischen Liberalismus im Dienste einer offen multipolaren und wahrhaft freien Zukunft.
Alexandr Dugin
(Übersetzung aus dem Englischen Rudolf S.)