Interview mit Leonid Savin von Alexander Markovics
1) Die Welt in der wir leben verändert sich rasant. Gleich nach dem globalen Ausbruch des Coronavirus im Jahr 2020 verkündete das Weltwirtschaftsforum seinen neuen Plan, den sogenannten “Great Reset”, um die Globalisierung neu zustarten und die Weltwirtschaft sowie alle Gesellschaften auf der Welt zu verändern. Einer ihrer Vordenker, Klaus Schwab, proklamiert die Vierte Industrielle Revolution und verspricht exponentielles Wachstum wie wir es noch nie zuvor gesehen haben. Was denken Sie über die Versprechungen von Schwab und dem WEF? Gründen diese auf Tatsachen oder handelt es sich hierbei vielmehr um einen Mythos, der dazu dient uns einen Neustart der Globalisierung zu verkaufen? Wie beurteilen Sie als Vertreter der Eurasischen Bewegung die Ideen des Great Reset hinsichtlich der Unipolarität und Multipolarität? Denken Sie, dass der Great Reset eine Zukunft außerhalb des Westens hat, insbesondere seit dem Riss zwischen dem Westen und Russland im Zuge der NATO Aggression gegen Russland sowie dem Beginn von Russlands Militäroperation?
Kurz gesagt: Klaus Schwab liegt falsch. Aber lassen Sie mich erklären, warum. Der Historiker Ian Moll geht viel weiter und stellt die Frage, ob die gegenwärtigen Innovationen bei den Digitaltechnologien die Vierte Industrielle Revolition (kurz: 4IR) als solche repräsentieren. Er merkt an, dass eine hegemoniale Interpretation der 4IR eine rapide technologische Entwicklung als kühne neue technologische Revolution darstellt. Jedoch gibt es keinen Beweis für eine solche Revolution in der Gesamtheit der sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Institutionen, sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene.. Folglich müssen wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, wie diese ideologische Struktur funktioniert, die dazu dient die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Eliten auf der Welt zu befördern. Moll argumentiert, dass das Gerüst der “Vierten Industriellen Revolution” dazu dient, das Kontingent des Neoliberalismus der Periode des post-Washingtoner Konsens zu stützen und daher den Auftrag erfüllt, den fortschreitenden Niedergang der globalisierten Weltordnung mit dem Narrativ einer “Schönen Neuen Welt” zu verschleiern. Schwab hat einfach einen ideologischen Putsch inszeniert, indem er ein Set von Metaphern verwendet, um von einer imaginierten Revolution zu erzählen.
Ein Studium der Technologien, welches oft als Schlüssel zu den zusammenlaufenden Innovationen der 4IR (Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Robotik und Internet der Dinge) gepriesen wird, beweist, dass diese nicht dem Anspruch einer modernen technologischen Revolution gerecht werden.
Moll zieht daraus die Schlussfolgerung, dass Schwabs' 4IR nicht anderes als ein moderner Mythos ist. Der soziale Zusammenhang dieser Welt ist immer noch der selbe wie in der 3IR und es werden nur wenige Änderungen erwartet. Es gibt im Moment keine Aussicht auf eine weitere Industrielle Revolution, die sich nach der Dritten ereignen wird. Schwabs' Schöne Neue Welt existiert einfach nicht.
Schließlich werden Revolutionen nicht nur vom technologischen Wandel gekennzeichnet. Vielmehr werden solche von Transformationen im Arbeitsprozess, grundlegenden Änderungen bei den Einstellungen am Arbeitsplatz, Verschiebungen in den sozialen Beziehungen und der globalen sozioökonomischen Restrukturierung ausgelöst werden.
Schwab weist auch die Kritik vieler westlicher Experten auf dem Gebiet der IT zurück. Er verwendet lediglich einen Mythos, der seiner politischen Agenda entspricht und sehr nützlich für das Kartell neoliberaler Globalisten ist.
Ja, beim Great Reset geht es um die Multipolarität und es ist wichtig anzumerken, dass dieses Konzept auf sehr intensive Weise während dem multipolaren Moment beworben wird. Es stellt den Versuch dar die Unipolarität unter einem neuen Vorwand der ganzen Welt aufzuzwingen. Und ich sehe das viele, insbesondere in den sogenannten Entwicklungsländern, dies sehr gut verstehen. Für sie handelt es sich beim Great Reset um eine neue Form des Kolonialismus mit einer futuristischen Bildsprache und post-modernen Technologien, aber im Endeffekt sind es die gleichen Instrumente der westlichen Hegemonie und Dominanz.
2) In Ihrem Buch „Coaching & Conflicts“ aus dem Jahr 2019 analysieren Sie das Konzept des Coaching War/ der hybriden Kriegsführung, wobei Sie mit der Theorie der Netzwerkkriegsführung beginnen und Konflikte von Syrien bis hin zur Ukraine abdecken. Könnten Sie bitte das Konzept des Coaching War erklären, wie der Westen es gegen unabhängige Staaten anwendet und insbesondere wie die NATO es im Moment benützt um die Ukraine zu transformieren?
In diesem Buch habe ich einige Fälle besprochen, doch während der letzten paar Jahre sind einige neue dazugekommen, die gründlich analysiert werden müssen. 2022 ist erst mein neues Buch mit dem Titel „Hybrider Krieg und Grauzone“ erschienen (welches bereits ins Italienische übersetzt wurde) worin ich die Gründe dafür beschreibe, warum der Westen und insbesondere die USA diese militärischen Konzepte in ihre Außenpolitik integriert haben. Die USA und NATO behaupten, dass Russland Methoden der hybriden Kriegsführung gegen andere Länder verwendet, seine Partner mit eingeschlossen. Vertreter dieser Doktrin sagen, dass die russische Sprache, die russischen Handelsbeziehungen, die Russisch Orthodoxe Kirche und viel mehr Elemente eines hybriden Kriegs des Kremls gegen die Demokratien sind. Das ist eine sehr dumme Idee, insbesondere dann wenn Sie die Handbücher des Pentagons kennen und gelesen haben, worin schwarz auf weiß geschrieben steht, dass die US Armee einen Krieg gegen seine Feinde, Neutrale und Verbündete in Zeiten des Krieges führt, aber auch in Kriesenzeiten und danach. Sie führen also die ganze Zeit gegen alles und jeden Krieg. Unglücklicherweise ist die hybride Kriegsführung nicht nur ein Meme und der Westen entwickelt Technologien wie die kognitive Kriegsführung oder die Verbreitung russophober (genauso wie iranophober und sinophober) Narrative überall wo es möglich ist.
Die Grauzone ist ein ähnliches Beispiel. Sie wird oft verwendet um die Aktivitäten Chinas oder die Militäroperation in der Ukraine zu beschreiben.
Was die NATO in der Ukraine anbelangt, so liefert der Westen abgesehen von Propaganda Aufklärungsdaten und verwendet Führungs- wie Leitsysteme gegen Russland. Aber es gibt in diesem Konflikt auch eine metaphysische Ebene wie etwa die Werkzeuge der Cancel Culture (gegen die traditionelle russische Kultur dort) und die Aggression gegen die Russisch Orthodoxe Kirche die in der Ukraine offiziell verboten ist (Wo sind die Menschenrechtsorganisationen die sich um die Meinungs- oder Glaubensfreiheit sorgen? Warum schweigen sie alle über die Lage in der Ukraine seit 2014?).
3) Seit dem Bericht des Club of Rome mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ rufen im Westen ansässige Denkfabriken und globalistische Organisationen zur Etablierung einer grünen Wirtschaft und der Reduktion von CO2-Emissionen auf, wobei sie nicht nur auf den Westen, sondern auch auf den globalen Süden abzielen. Einige Aktivistengruppen wie Extinction Rebellion fordern sogar das Ende der menschlichen Fortpflanzung, um den Klimawandel zu stoppen. Was denken Sie über diese neo-malthusianische Politik? Können wir diese als neue Komponente der westlichen Hybridkriegsführung nicht nur gegen die eigenen Völker, sondern auch gegen andere Zivilisationen betrachten, insbesondere gegen jene die sich seinem Hegemonialanspruch widersetzen?
Die besten Beispiele für eine neo-malthusianische Politik sind die künstlichen Wurzeln des Coronavirus und die verrückten Ideen von Globalisten wie Bill Gates mit seiner Involvierung in große Pharmafirmen bei der Manipulation von Daten sowie Klaus Schwab und sein perverser Wirtschaftsklub. Aber auch die Klimawandelagenda ist nichts anderes als ein Fall von obskurer Politik, da in ihrem Namen viele Lügenmärchen und Desinformationen unter einem politischen Deckmantel in der Bevölkerung verbreitet werden.
Interessanterweise sind die Entwicklung und Implementierung grüner Technologien von Materialien wie seltenen Metallen, Lihtium usw. abhängig. Um diese extrahieren zu können, besteht die Notwendigkeit des Abbaus, das heißt der Zerstörung natürlicher Landschaften. Die Weiterverarbeitung führt wiederum zur Verschmutzung der Umwelt. Schließlich sollen fast alle seltenen Materialien für die reichen westlichen Staaten verwendet werden. Das ist also nichts anderes als die Rückkehr des Raubtierkapitalismus der vergangenen Jahrhunderte.
Ein anderer Aspekt der Grünen Ökonomie besteht im Aufstieg von Pseudoideologien die sich gegen die Menschheit an sich richten. Die Bewerbung von veganem Essen, oder Speisen die aus Würmern und Insekten bestehen, Pro-Abtreibungs- oder besser gesagt Anti-Lebens-Bewegungen, all diese Fanatiker repräsentieren den Satanismus mit einem umweltfreundlichen Antlitz. Doch der Sinn dahinter ist der selbe: Sie richten sich alle gegen die Menschheit im Allgemeinen und gegen das eigene Volk in der konkreten Situation.
4) In Ihrem vor kurzem erschienenem Buch Ordo Pluriversalis schlagen sie eine multipolare Ordnung anstelle des gegenwärtigen unipolaren Chaos vor, welches vom Westen dominiert wird, sowie ein intellektuelles Pluriversum anstelle des gegenwärtigen liberalistischen Universums. Darin sprechen sich auch von der Notwendigkeit eine Gegenhegemonie zu errichten und von der Wichtigkeit des heideggerschen Konzept des Daseins in Verbindung mit der Vierten Politischen Theorie Alexander Dugins. Welche Bedeutung haben europäische Denker wie Antonio Gramsci, Martin Heidegger und Carl Schmitt für die Theorie der Multipolarität und welche nicht-westlichen Denker denken Sie sind wichtig für eine pluriversalistische Denkart?
Was Europa angeht konzentrierte ich mich auf die Ideen von Heinrich Triepel (weniger bekannt als Gramsci, aber auch interessant im Bereich der Hegemonieforschung) A.F.K. Organski, John N. Gray, Giorgio Agamben und Leopold Kohr. Neben den erwähnten Autoren erwähne ich Personen und damit auch deren Ideen wie Amitav Acharya, Hamid Dabashi, Taha Abdurrahman, Yaqing Qin, Ernesto Cardenal, Walter Mignolo, Dipesh Chakrabarty und vielen andere. In den Quellen können sie Denker von Aristotles und Thukydides bis hin zu Richard Haas und Christopher Layne finden. Denn wenn Sie sich mit den Kritikern des (Neo-)Liberalismus befassen, dann müssen sie alle Autoren dieser politischen Schule gut kennen! Doch für eine echte Multipolarität im globalen Ausmaß können wir nicht die Intellektuellen aus anderen Teilen der Welt umgehen – Japan, China, Indien, der Iran, die Regionen Afrikas und Lateinamerikas sowie natürlich Russland-Eurasien. Ich habe mich insbesondere auf die Wichtigkeit der Ideen nicht-westlicher Theorien spezialisiert. Eine chinesische Theorie der Internationalen Beziehungen wurde bereits etabliert, der Eurasismus ist eine weitere Grundlage für die Entwicklung einer authentisch russischen Theorie der Internationalen Beziehungen. Lasst uns auch den Iranern, Afrikanern, Araber und Völkern Lateinamerikas, Indonesien, usw. das Wort erteilen! Es gibt einige spezielle Punkte, die die jeweils einzigartige Kultur/die Ethnie reflektieren, aber auch interessante Ideen die weltweit nützlich sind und den Interessen und Werten verschiedener Völker wie Staaten dienen können.
5) Viele Analysten sehen das Jahr 2022 als Wasserscheide in der Geopolitik an, mit dem Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine haben sich viele Staaten geweigert die westlichen Sanktionen gegen Russland zu unterstützen. Einige Staaten wie der Iran, China, Indien und Pakistan haben ihre wirtschaftlichen und/oder militärischen Beziehungen mit Russland sogar gestärkt. Würden Sie der Aussage zustimmen, dass wir gegenwärtig den ersten multipolaren Konflikt in der Ukraine erleben? Ist die multipolare Welt bereits ein Fakt oder erleben wir erst den Moment der Transformation von einem unipolaren Moment/Chaos zu einer multipolaren Ordnung?
Der unipolare Moment ist vorbei, das ist wahr. Die Multipolarität befindet sich jedoch erst in der ersten Phase ihres Aufbaus. Also handelt es sich hierbei um einen multipolaren Moment. Uns stellt sich also nun die Frage, wie wir diesen Moment in eine echte, qualitative Multipolarität umwandeln können. Aus der Sicht des Westens ist das nicht wünschenswert, weil seine Eliten damit ihren Zugriff auf die Hegemonie verlieren. Aus genau diesem Grund sehen westliche Gelehrte den Aufstieg der Multipolarität als Anbruch eines risiko- und konfliktreicheren Zeitalters an. Für sie ist es nur logisch den status quo erhalten zu wollen. Aber selbst die westlichen Eliten wissen, dass die Multipolarität unausweichlich ist. Sie müssen sich nur die jüngsten Nachrichten ansehen um herauszufinden, dass Russland, der Iran, China und einige andere Staaten die Nutzung des sogenannten internationalen Bankensystems SWIFT vermeiden und stattdessen eigene Bankmechanismen etablieren. Indien hat die Vereinigten Arabischen Emirate in VAE-Dirhams bezahlt, um russisches Öl zu erwerben – dies ist ein Anzeichen für die Entdollarisierung und tiefgreifende Veränderungen, die die Weltwirtschaft beeinflussen werden. Darüber hinaus bildet Asien mittlerweile den Motor der Weltwirtschaft, weder Europa, noch die transatlantische Region (EU plus USA und Kanada) können ihm das Wasser reichen. Rationale Akteure werden diesen Trends folgen, da es hier um die Frage von Frieden und Wohlstand geht. Schließlich handelte es sich auch beim Brexit um ein Anzeichen für den Niedergang des EU-Systems, da das Vereinigte Königreich nach einer flexibleren Option gesucht hat, um sich in der Welt zu behaupten.
Im Moment sind die westlichen Eliten – nicht die Völker des Westens – gegen Russland im Kampf um die Ukraine vereint und sie nützen diese Lage, um ihre eigene fragile Einheit zu stärken. Doch die Realität wird sie früher oder später dazu zwingen für die eigenen nationalen Interessen zu kämpfen, so wie während der Covid Pandemie – jeder wird versuchen zu überleben.