Liberaler Nationalismus gegen organische Gemeinschaften
Der unoriginelle liberale Denker Francis Fukuyama hat kürzlich einen Artikel veröffentlicht, in dem er die Liberalen auffordert, das Ziel der Schaffung einer „globalisierten Gesellschaft aufzugeben und sich stattdessen dem Nationalismus“ (verstanden als bürgerlicher Nationalismus) anzuschließen (1).
Natürlich ist es nicht überraschend, dass Fukuyama den „liberalen Nationalismus“ befürwortet, da er seit dem Jahr 2000 sagt, dass es notwendig ist, die Schaffung moderner Strukturen („Nationalstaaten“) auf der ganzen Welt zu unterstützen und zu zementieren, damit der Liberalismus sie als Werkzeug benutzen kann, um die Überreste vormoderner Gemeinschaften und Traditionen, die noch überleben, zu zerstören. In dem Artikel heißt es im Wesentlichen: „Wir wollen eine Welt ohne Nationalstaaten schaffen, aber da das noch unmöglich ist, ist es am besten, die Nationalstaaten zu benutzen, um dieses Ziel zu erreichen“. Er argumentiert auch, dass „die russische militärische Sonderoperation in der Ukraine leider zeigt, dass wir noch keine post-historische Welt geschaffen haben“.
Fukuyama befürwortet einen jakobinischen Bürgernationalismus, der alle Formen organischer Gemeinschaften und Solidaritäten zerstört, denn „liberale Gesellschaften sollten keine Gruppen offiziell anerkennen, die auf festen Identitäten wie Ethnie, Ethnizität oder religiöser Tradition beruhen“. Nur durch „Nationalismus“ ist es möglich, einheitliche Werte und Einstellungen zu konstruieren, die mit dem Liberalismus vereinbar sind. Darüber hinaus sieht Fukuyama den Föderalismus als Stärkung vormoderner „ethnischer und religiöser Identitäten“.
Seltsamerweise hält Fukuyama die Ukraine für ein perfektes Beispiel für liberalen „Nationalismus“, denn „ihre Bürger haben sich zur Unabhängigkeit und zur liberalen und demokratischen Ideologie bekannt und deutlich gemacht, dass sie bereit sind, bis zum letzten Atemzug dafür zu kämpfen. Sie waren jedoch nicht in der Lage, einen Staat aufzubauen, den sie ihr Eigen nennen können“. Fukuyama ist offenbar der Ansicht, dass Karl Poppers „Menschenrechte“ und die offene Gesellschaft im „Asowschen Bataillon“ ihre legitimen Vertreter haben, und er geht sogar so weit zu behaupten, dass der ukrainische Nationalismus dem von den „Gründervätern“ der USA vertretenen sehr ähnlich ist.
Dennoch räumt Fukuyama ein, dass in Nationalstaaten, in denen es heterogene ethnische und religiöse Gruppen gibt, der Föderalismus die Konflikte von Völkern lösen kann, die „seit Generationen dasselbe Territorium bewohnen und ihre eigenen kulturellen und sprachlichen Traditionen haben“, aber „Föderalismus erfordert die Übertragung von Macht auf unabhängige subnationale Einheiten“. Diese Lösung wurde jedoch von der Ukraine ausgeschlossen.
Fussnote:
1. https://inosmi.ru/20220417/liberalizm-253821826.html
Übersetzung von Robert Steuckers