Wenn eine Lesart der Realität hegemonial wird
Wenn eine Lesart der Realität durch Propaganda und nicht durch Rationalität hegemonial wird, zeigt sich das in der Unfähigkeit, Widersprüche zu erkennen, in der Verschleierung der Realität.
So hat man uns jahrelang beigebracht, dass 'Souveränität' ein schmutziges Wort ist, dass die Erwähnung dieses Wortes eine Art von Ungehorsam gegen den guten Geschmack darstellt und dass 'Souveränität' praktisch ein Synonym für den Nationalsozialismus war (obwohl der Begriff ursprünglich in Kanada für die Unabhängigkeit Quebecs stand und ein Synonym für nationale Selbstbestimmung war).
Da die italienische Presse hinter der Wahrheit her ist wie Katzen beim olympischen Schwimmen, wurde die öffentliche Meinung gleichgeschaltet und das Wort wurde zu einer Fehlbezeichnung.
Dann kam die furchtbare 'souveräne Rechte', die, nachdem sie mit der Behauptung, das nationale Interesse zu schützen, Stimmen gewonnen hatte (was für italienische Zeitungen geschmacklos ist), sich Gott sei Dank systematisch in den Schoß der EU und der USA geschmiegt hat, auch wenn dies, von der Austerität über die Lieferungen aus Russland bis hin zum Mes, für die italienischen Interessen selbstmörderisch war.
Wenn wir dann den Blick über unsere nationalen Grenzen hinaus richten, stellen wir fest, dass merkwürdigerweise all die Länder, die noch nicht erkannt haben, dass das wahre Glück im Gehorsam gegenüber dem militärisch-industriellen Komplex der USA liegt, als unerträgliche Autokratien dargestellt werden.
Es macht wenig aus, dass dort Wahlen abgehalten werden, dass sie entscheidend sind, dass es eine echte Opposition gibt und dass die Wahlbeteiligung höher ist als hier, wo nur noch die Verwandten der Kandidaten wählen gehen.
Wenn sie behaupten, dass sie selbstbestimmt sind und sich um das nationale Interesse kümmern, sind sie offensichtlich autokratische Barbaren.
So ist Orban ein Faschist, Putin ein Zar, Erdogan ein Sultan, Xi Jinping ein Diktator, und so weiter.
In unseren erblichen liberalen Demokratien hingegen wird ein Film, der ein Anti-Kriegs-Referendum unterstützt, von YouTube gelöscht, weil er "zu Gewalt anstiften könnte".
Die blinden Flecken könnten sich hier noch vervielfachen, aber für die Leser von Repubblica-Corriere_&Co würde sich nichts ändern: Angesichts jeglicher Beweise werden sie ad hoc ein ptolemäisches Epizyklo erfinden, eine besondere Ausnahme, eine außergewöhnliche Entschuldigung, eine abenteuerliche Interpretation, um ihre ein halbes Jahrhundert alte Lesart der Realität am Leben zu erhalten.
Und da wir tolerant sind, würden wir uns nicht über diese Blindheit ärgern, wenn es nicht gerade die Blinden wären, die das Schiff, auf dem wir sitzen, mit ruhiger Hand auf die Felsen zusteuern.
Übersetzung von Robert Steuckers