USA gegen Europa: Verteilungskampf um die Renten hat begonnen
Die Finanzierungslücke im amerikanischen Rentensystem ist einer Studie zufolge rund drei Mal größer als bislang gedacht. Die Situation ist gefährlich für das US-Establishment, weil wirtschaftliche Verwerfungen die Chancen der Außenseiter Donald Trump und Bernie Sanders erhöhen.
Der gesamte finanzielle Fehlbetrag im amerikanischen Rentensystem könnte mit rund 3,4 Billionen Dollar weitaus größer sein, als bislang von staatlichen Stellen zugegeben, wie Financial Times berichtet. Der FT zufolge weisen offizielle Statistiken „nur“ einen Fehlbetrag von über einer Billion Dollar aus. „Die Rentenprobleme drohen, die Budgets von Staaten und Gemeinden aufzubrauchen, wenn es zu keinen großen Änderungen kommt“, sagte der Verfasser der Studie, ein Professor an der Stanford Graduate School of Business.
Der Fehlbetrag birgt enorme Sprengkraft für die USA, weil er zu einer großen Anzahl an Insolvenzen von Gemeinden, Städten und Bundesstaaten führen und letztendlich auch die US-Regierung auf den Plan rufen könnte. Hohe Ausfälle im Rentensystem hatten bereits zur Insolvenz verschiedener Städte geführt – darunter auch die einst wohlhabende Industriestadt Detroit. „Wenn diese Pensionsfonds insolvent werden, werden sie Probleme von solch gravierenden Ausmaßen darstellen, dass die Bundesregierung sie retten muss“, sagt der Kongressabgeordnete.
Genau dies muss aus Sicht des US-Establishment unbedingt verhindert werden, weil eine Verschärfung der wirtschaftlichen Situation die alternativen Präsidentschafts-Bewerber Donald Trump und Bernie Sanders stärken würde. Trump und Sanders vertreten Ansichten, die den Interessen der amerikanischen Eliten zuwiderlaufen. Bis zu den Wahlen im November darf es aus ihrer Sicht deshalb zu keiner Entwicklung kommen, der das ohnehin hohe Protestpotential in der Bevölkerung weiter anfacht. So eine Entwicklung wäre die Erkenntnis vieler (künftiger) Rentner, dass die Auszahlung ihrer Renten fraglich ist.
In globaler Hinsicht herrscht zudem ein Interessenkonflikt zwischen amerikanischen und europäischen Pensionsfonds. Die Amerikaner haben das Geld ihrer Kunden größtenteils in die Aktienmärkte investiert, während europäische Fonds dazu neigen, Staatsanleihen zu kaufen. Für die amerikanische Seite stellen Negativzinsen deswegen kein Problem dar – im Gegenteil, diese dürften den Aktienmärkten neue Impulse bescheren, weil institutionelle Anleger wie Pensionsfonds so wenig Cash wie möglich halten werden.
Dagegen wächst in Europa die Kritik an niedrigen und negativen Zinsen, weil das gesamte Renditeniveau bei der Geldanlage gedrückt wird. Rentenfonds wird es in diesem Umfeld schwierig gemacht, Erträge zu erzielen. Das außergewöhnliche Treffen zwischen Präsident Obama und Fed-Chefin Yellen könnte vor diesem Hintergrund auch dem Zweck gedient haben, die Zentralbank von einer Anhebung der Zinsen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen abzuhalten, um die Aktienmärkte und damit die amerikanischen Rentensysteme nicht weiter zu destabilisieren.
Der Studie zufolge haben Chicago, Dallas und Houston die größten Finanzierungslücken. Bei den Bundesstaaten seien dies Illinois, Arizona, Ohio und Nevada. Berechnet wurde außerdem, welcher durchschnittliche Prozentsatz an den öffentlichen Einnahmen ausgegeben werden müsste, um die Finanzierungslücken nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Die Autoren der Studie gehen von rund 17,5 Prozent aus – derzeit geben Gemeinden, Städte und Bundesstaaten in den USA rund 7,3 Prozent in die Rentenprogramme ab.
Das besorgniserregende Ausmaß der Rentenlücken sei zustande gekommen, weil viele Rentenversicherungen und Fonds ihre Finanzbuchhaltung auf der Annahme gründen, dass sie jährlich zwischen 7 und 8 Prozent Rendite mit ihren Investitionen erwirtschaften – was angesichts des Niedrigzinsumfeldes illusorisch ist. Dadurch wächst der Zwang, Mehreinnahmen über Steuererhöhungen oder sonstige Abgaben zu generieren. Dies lässt sich politisch aber nur schwer durchsetzen, weil sich breite Schichten der amerikanischen Bevölkerung ohnehin schon in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen befinden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten (19.4.2016)