Sergei Eisenstein – Alexander Newski

06.05.2024

Der Regisseur 

Sergei Eisenstein wurde am 10. Juni 1898 in Riga geboren und verstarb am 11. Februar 1948 in Moskau. Er stellte für die damalige junge Sowjetunion etwas ähnliches dar wie die in Deutschland aufgekommene Epoche des Experimentalfilms als künstlerische Nutzung des neuen Mediums des Films. Beachtenswert ist weiters, dass sich der Regisseur intensiv auf kritische Weise mit der physiognomischen Ausdruckskunde von Ludwig Klages befasste, die er in seinen Filmen nutzte, um das innere Erlebnis seiner Filmcharaktere in Szene zu setzen. Die Themen seiner bekanntesten Filme spiegeln auch die Verschiebungen des Selbstbildes des sowjetischen Staates wider, etwa in Panzerkreuzer Potemkin (1925), der durch seine Kinderwagen Szene weltweit anerkannt und berühmt wurde,  sowie in Oktober (1928) der das Selbstbild der Oktoberevolution darstellte. Der heute vorgeführte, 1938 erschienene, Film „Alexander Newski“ und die darauf folgende, nicht vollendete, Filmreihe Iwan der Schreckliche  spiegeln das Streben wider der Revolution eine dauerhafte patriotische Grundlage zu verleihen. Dazu berief man sich vor allem auf historische Vorbilder.

Historischer Kontext

Wir sollten hier kurz auf die russischen Geschichte und zur Bedeutung des Fürsten Alexander Newski eingehen. Nach dem Untergang der Kiewer Rus durch die Goldene Horde und den Folgen der Verwüstung mancher Gebiete, nutzten zuerst die Schweden die Gelegenheit sich Gebiete der alten Rus einzuverleiben. Newski schaffte diese in der Schlacht an der Newa erfolgreich abzuwehren was ihn und dem Fürstentum Wladimir einen Ruf als berühmten Feldherren einbrachte. Daraufhin, und darum geht es in diesem Film, handeln der Papst und der Livländische Orden, die die Gelegenheit erkannten das russische Gebiet anzugliedern und gegen die Heiden, womit sowohl die Goldene Horde, wie auch die Orthodoxie gemeint waren, vorzugehen. Dies führte zur Schlacht am Peipussee, durch die Newski nicht nur als Hüter des russischen Landes in die Geschichte eingehen sollte, sondern auch als heiligen Bewahrer der Orthodoxie. In weiterer Folge sollte Russland im Laufe der Geschichte zur Hauptmacht der Orthodoxie und Alexander Newski auch außerhalb Russlands verehrt werden. So wurde zum Beispiel in der bulgarischen Hauptstadt Sofia eine Kathedrale nach ihm benannt. Vor der Schlacht am Peipussee war die Bevölkerung von Nowgorod ratlos, wie man mit den Ordensrittern umgehen sollte.  Die Händler verfügten über gute Beziehungen nach Gotland und zur deutschen Hanse, siehe den deutschen Hof in Nowgorod. Darüber hinaus galt das von dem Deutschen Orden besetzte Pskow auch immer als ein Konkurrent genau dieser Handelsbeziehungen. Eine großer Teil dieser Händler hatten darum wenig Lust die Invasion abzuwehren und spielten daher mit dem Gedanken, auch als Gegengewicht zur mongolischen Herrschaft, mit den Deutschen zu kooperieren. Man kann sich dabei an der Lehre der Ethnogenese nach Lew Gumiljow orientieren, die Händler wurden zu passiven Vertretern, wobei hingegen die jungen Leute in Nowgorod und darunter auch Teile der bäuerlichen Bevölkerung noch überschüssige Energie besaßen und in einem Zustand waren, der die Bereitschaft zur Erneuerung ausdrückte. Diese stellten sich hinter den bekannten Fürsten Newski, den man zur Verteidigung der Rus an den Hof rief. Alexander Newski zeichnete sich dadurch aus, dass er nicht nur ein brillanter Stratege war, sondern auch ein selbstloser Mensch und schlussendlich ein Erneuer. Er brach mit alten eingebürgerten Vorstellungen die ihm zu eng und passiv erschienen und suchte neue Wege, durch die die Russen in den Stand versetzt wurden die Grundlagen der russischen Kultur zu retten. Lew Gumiljow erwähnte nicht zu Unrecht Newski und die zunehmend bedeutendere Stellung des Fürstentums Wladimir als Mittler zwischen der Kiewer Rus und dem Moskauer Reich, welche die Machtverhältnisse in den russischen Landen verschob. Alexander Newski stellte durch seine zeitweilige Einigung der Rus gegen die internen Fürstenfehden, von welchen schon die Erzählung der Märtyrer Boris und Gleb sowie das Igorslied  in mahnenden Worten warnen, die Abwehrkräfte gegen  überlegen scheinenden Feind her. Er besaß auch den Instinkt günstige Gelegenheiten zu erkennen, da er sich des dennoch fragilen Zusammenhaltes der Fürstentümer sicher war, wartete er auf eine Gelegenheit mit dem mongolischen Anführer Batu einen dauerhaften Frieden zu schließen. Dieser Frieden mit der Goldenen Horde, die im Kontrast zum römischen Papst das Konzept der Religionsfreiheit vertrat, entlastete das Land von der Bedrohung für die Orthodoxie, welche für die völkische Identität wichtig war. Der Bund mit der Horde sollte zunächst über Wladimir den späteren Aufstieg und die ausgeweitete Macht des Moskauer Großfürstentums um Dimitri Donskoi  und schlussendlich die Beerbung und Freiheit der Rus vom mongolischen Ulus garantieren. Eines der Hauptthemen des Films ist also die Rolle von Newski als Einiger Russlands. Ein weiteres ebenso wichtiges Thema ist die oftmals erwähnte heilige russische Erde, die nicht von Feinden betreten werden darf, und eng mit der Verurteilung der erwähnten Fürstenfehden zusammenhängt. Die Erde galt als die Grundlage des späteren Kultes der Gottesmutter als transzendierte Erde, um mit dem Kulturhistoriker und Verfasser des Mutterrechts Johann Jakob Bachofen zu sprechen, welcher in der Figur der Athene eine transzendierte, mit dem Patriarchat einhergehende, Figur sah. Jene Erdmystik wie Nikolai Berdiajew sie in „Die russische Idee“ umschreibt, die auch auf die Orthodoxie als Grundlage der Einigung des russischen Landes zurückgeht, sieht in der irdischen Erde ein Abbild und einen Zugang zur himmlischen Erde. Die irdische Erde wird verklärt durch ihren überweltlichen Bezug zum neuen Jerusalem. Dies war umso wichtiger, da nicht nur der Papst und die Kreuzritter in den Russen Heiden sahen, sondern auch die Russen die Kreuzritter als Ungläubige betrachteten.

Zeitgeschichtlicher Bezug

Die Bedeutung der Tat von Alexander Newski  und der erwähnten jungen Leute als Erneuerer und Wahrer des Landes wird auch in der geschichtlichen Rezeption deutlich. Zuerst sehen wir in der bekannten Antwort von Iwan Grosny auf den Brief von Kurbskij einen klaren Bezug zur Alexander Newski. Auch die Schöpfung der Stadt Sankt Petersburg am finnischen Meerbusen durch Peter den Großen wurde als neues Zentrum durch die Schlacht an der Newa gegen die Schweden und der Rolle Alexanders in der Einigung des Russlands legitimiert. Dies konnte man daran erkennen, dass die Reliquien Newskis von Moskau nach Sankt Petersburg gebracht wurden und man ein eigenes Kloster für diese errichtete. In Bezug auf die Zeit der Entstehung des Films ist auch die Wichtigkeit eines stabilen sowie wehrhaften Zentralstaates, wie er von Josef Stalin angestrebt wurde, wichtig. Auch hier sehen wir den Kern der Erneuerung durch junge energische Menschen und die Beschwörung der russischen Erde als bindendes Element. Man sieht nicht zuletzt an der letzten Botschaft im Film auch seine Rolle im Großen Vaterländischen Krieg als Orientierungspunktes eines kampfbereiten Volkes. Es ist bekannt dass die Sowjetregierung sich an Eisenstein wandte damit er dieses Projekt verwirklicht. Er wurde jedoch kurze Zeit nach seiner Fertigstellung nicht mehr ausgestrahlt, da man dachte die Gefahr eines Krieges mit Deutschland durch den Molotow-Ribbentrop  Pakt gebannt zu haben. Nachdem Beginn der Operation Barbarossa und dem Angriff der deutschen Wehrmacht  wurde der Film aber wieder in den Kinos gezeigt und fand dadurch zunehmende Bekanntheit.