Mises Jenseits von Rechts und Links: Über die Lektionen der österreichischen Schule der Ökonomie

17.06.2022

Ich habe mich in meinen Texten und in meinem Gespräch mit Stefan Blankertz intensiv auf Dugins Text „Liberalismus 2.0“ bezogen und die dortigen Gedanken weiter fort geführt. Es gibt jedoch ein Thema was ich bisher meist eher umschifft habe. Dugin teilte den Liberalismus in 3 Phasen und sagte, die erste Phase, die er mit Hayek und der österreichischen Schule in Verbindung brachte, sei noch am Erträglichsten gewesen und ein potenzieller Alliierter im Kampf gegen den heutigen Linksliberalismus sorosscher Prägung. Ich bin jedoch bisher eher auf gesellschafts- fokussierte Autoren wie Leo Strauss eingegangen und machte einen möglichst großen Bogen um die Ökonomie.   Dieses Versäumnis möchte ich jetzt korrigieren und eine Art „Mises von Rechts“( oder eher „Jenseits von Rechts und Links“) nachreichen.

Eines vorweg: In der Neuen Rechten Europas ist eher das Projekt eines „Marx von Rechts“ an der Tagesordnung. Liberalkonservative und einige prominente Libertäre wie Lichtschlag  regen sich meist sehr drüber auf und fordern, die Annäherung an Marx sein zu lassen und sich stattdessen eher in Richtung Mises und Hayek zu bewegen. So eine Position ist unsinnig. Die Analyse der marxistischen Position durch Leute wie  Alain de Benoist hat sehr viele wichtige Erkenntnisse gebracht. Besonders die, dass in liberalen Gesellschaften  Ökonomismus zur politischen Doktrin gemacht wurde und die Markt- wie Wettbewerbsmetapher in Gebiete eingedrungen ist, wo sie nicht hingehört. (Bestes Beispiel dafür ist der Heiratsmarkt. Wettbewerb ist kein Selbstzweck, sondern soll in der Ökonomie konkrete Funktionen erfüllen. Deshalb sind solche „Märkte auch ökonomischer Unsinn“.) Oder die Erkenntnis, dass im Westen ein unsichtbarer Imperativ vorherrscht, die Leute sollen für den Markt leben.  Solche Erkenntnisse sind sehr richtig und wichtig. Deswegen kann man die Beschäftigung mit Marx nicht zu Gunsten der Österreicher Verwerfen. Abgesehen davon starteten Libertäre wie Stefan Blankertz ähnliche Analysen der marxistischen Theorie. Sinnhafter als ein „Hass“ auf Marx, wäre deswegen wahrscheinlich, wenn man stattdessen jetzt vergleichen würde, wie de Benoist, Benedikt Kaiser und Stefan Blankertz nun  Marx interpretieren und wo nun Unterschiede und Gemeinsamkeiten liegen.

Ein Problem bei der Analyse durch de Benoist und Benedikt Kaiser ist jedoch, dass sie nicht sauber genug ökonomische und ideologische Komponenten des Kapitalismus trennen. Die heutige Maxime „Die Ökonomie ist das Wichtigste im Leben und man löst gesellschaftliche Probleme am besten, wenn man Frauen, Migranten,  Behinderte und andere Minderheiten in Jobs rein steckt und alles andere (z.B. Liebe, Familie, Religion etc.) komplett ignoriert oder sogar als Hindernis der kapitalistischen Tätigkeit verunglimpft , da nur die Ökonomie zählt“, ist keineswegs inhärent in der Wirtschaft. Josef Schumpeter sah zum Beispiel  den Familiensinn als eine zentrale Triebkraft für Wirtschaft und Unternehmertum an.

Und natürlich muss ebenfalls gesagt werden, dass die Ökonomie im Allgemeinen ist eine Verkörperung des durch Leo Strauss und Giorgio Agamben kritisierten Prinzip des „nackten Leben“ ist. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden dass, vor der Corona Krise Ökonomen mindestens genau so stark an der „Tyrannei des   nackten Leben“ mitgearbeitet haben, wie jetzt die Mediziner. Deswegen wäre es eigentlich besser, Ökonomen so weit wie möglich vom politischen Diskurs auszuschließen. 

Was kann die 4. Position jedoch trotzdem von den Österreichern lernen?

Dugin erwähnte Henry de Lesquen als „neurechten Hayekianer“. Lesquen beschrieb den Liberalismus als nützliches Mittel, auf dem jedoch nicht die gesamte Gesellschaft allein aufgebaut werden kann.  Dann nutzt er Hayeks Idee der „Anmaßung von Wissen“, um sich für die Tradition auszusprechen. Und zwar in dem Sinne, dass ein einzelner Mensch nicht genug Wissen hätte, um die Welt radikal umzugestalten, jedoch die menschliche Tradition eine Sammlung von vielen Dingen sei, die über Jahrtausende  von vielen Generationen probiert wurden und  sich bei als  am Brauchbarsten herausstellten.  Deswegen sei im Sinne Hayeks die Bewahrung der Tradition besser als ein traditionsfeindlicher Utopismus.[1]  Lesquen weißt ebenfalls darauf hin, dass liberale Ökonomie (z.B. Smiths „unsichtbare Hand“ )   als Nationalökonomie gedacht war und nicht als globalistischer  Weltstaat, (Dies impliziert ebenfalls, dass der Vorteil des Unternehmertums für die Gesellschaft in der Solidarität des Unternehmers mit seiner Gemeinde begründet liegt.)  Lesquen betonte jedoch gleichzeitig ausdrücklich, dass liberale Ideen die Sphäre der Ökonomie nicht verlassen und nicht in Institutionen wie Familie etc. eindringen dürfen.

Aus Sicht des Daseins wäre die subjektive Werttheorie  („Dinge in der Welt haben keinen objektiven Wert und Preis, sondern es ist wertvoll, weil jemand entscheidet, dass es in diesem Moment Wertvoll ist“) am Interessantesten, denn dies ergänzt sich perfekt mit den Ideen von Husserl, Heidegger etc. In einigen Fällen wird die subjektive Werttheorie ebenfalls genutzt, um anzuzweifeln, dass es etwas gäbe, was für alle Menschen gleicherweise rational wäre. Ein Schamane, der um sein Buschfeuer tanzt, wäre dann keines Falls irrationaler, als ein Wallstreet Investor.  Dies ist ebenfalls sehr wichtig und auch ein gutes Argument um die Idee des linearen Fortschritts infrage zu stellen.

In der Perspektive des Traditionalismus ist wiederum Carl Mengers  Idee der Gegenwartspräferenz und insbesondere deren Bearbeitung durch Hans Hermann Hoppe am Interessantesten. Diese besagt grob, dass traditionelle Systeme wie die Monarchie sehr gut über lange Zeiträume planen können, und in der Lage sind das Verlangen gut für langfristige oder „ewig gültige“ Ziele zu opfern. Moderne Systeme wie die liberale Demokratie machten dies jedoch kaputt und fördern immer mehr die kurzfristige Lustbefriedigung, weshalb solche Systeme langsam ihre Zukunft verspielen.  Mencius Moldbugs (so der Pseudonym von Curtis Yarvin) Neoreaktionäre Bewegung nutzt genau diese Theorie wiederum für eine Annäherung libertärer Ideen an die integrale Tradition wie sie durch Guénon und Evola vertreten wurde. (Besonders Michael Anissimov ist hier wichtig.)

Hoppes Beschreibung, dass der Besitzer eines Landgebiets frei über Regeln und politische Systeme auf seinem Territorium entscheiden könnte, ohne an Dinge wie Menschenrechte gebunden zu sein, und jeden, der mit seinem Handeln nicht einverstanden sei, „physisch entfernen“ könnte und müsste, ist deutlich näher an Carl Schmitt, als an John Locke. Und seine Theorie sagt eindeutig, dass niemand gezwungen werden kann, auf seinem Territorium ein liberales System zu errichten.

Im Bezug auf die  Tradition muss gesagt werden, dass der organische Staat in der Deutung eines „Konfuzianistischen“ Systems aus wechselseitigen informellen Pflichtbeziehungen  (z.B. Eltern/Kind, Bauer und Gesellschaft etc.) in vielen Bereichen gut mit der Theorie der  Spontanen Ordnung harmoniert. (Obwohl Rothbard diese Idee eher mit dem taoistischen Philosophen Zhuangzi assoziiert.) [2]

Guénon beschrieb im Text „Die Entartung des Münzwesens“, dass Geld eigentlich auf Gold beruhen sollte und das „ungedeckte Papiergeldsystem“ („fiat money“) des heutigen Dollars eine Verfallserscheinung sei, die extremen Schaden anrichten würde.  Ezra Pound kritisierte dieses System ebenfalls und Haku Zynkyoku beschrieb dieses „Federal Reserve“ System als „extrem bösartiges System“, welches „Yamata no Orochi“ dienen würde, einem shintoistischen Schlangendämon, der Zerstörung und Niedergang symbolisiert, und in Zeitabständen kommt um die Menschheit fast komplett auszulöschen. Und genau in dem Bereich gibt es eine erstaunlich hohe Konvergenz mit den Zielen der Anhänger der österreichischen Schule. Einer deren Schlachtrufe lautet nämlich exakt: „End the Fed(eral Reserve)!“. Bestes Beispiel für diese Überschneidung im deutschen Raum  dürfte ebenfalls das Buch „Goldgrund Eurasien“ sein.

Ein Problem der österreichischen Schule ist, diese ist durch Mises Praxeologie nicht objektiv, sondern versteht sich explizit als ein „methodischer Individualismus“ . Somit ist dies explizit Teil der ersten politischen Theorie des Liberalismus. Um die österreichische Schule nutzbar zu machen, muss diese zunächst von der  ersten politischen Theorie getrennt werden.

Der durch Alfred Müller-Armack und insbesondere Ludwig Erhard geprägte Ordoliberalismus in Deutschland ist explizit als Form des „dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus erdacht wurden. Gleichzeitig wurde er jedoch ebenfalls maßgeblich durch  die österreichische Schule geprägt. 

Ein bekanntes Beispiel einer illiberalen Marktwirtschaft ist ebenfalls China seit den Reformen Deng Xiaopings. Oft kriegt man als Europäer sogar den Eindruck,  die Chinesen achten wirtschaftliche Freiheit mehr als wir, während bei uns die „Liberalen“ sich eher um Bullshit wie Gender kümmern.

Es ist bekannt, dass es eine Verbindung zwischen Dengs Reformen und dem Pinochet Regime gab, welches eine seltsame Kreuzung aus Liberalismus und Faschismus war und durch Hayek gelobt wurde. (Dessen Rechtssystem jedoch zeitgleich durch Carl Schmitts Theorien geprägt wurden.) Hayeks Schüler Milton Friedman war ein gern gesehener Gast der chinesischen Regierung und sollte vor allem bei der Bekämpfung der Inflation helfen. Friedman arbeitete später auf die Beendigung der staatlichen Preiskontrollen hin. (Eine Maßnahme, die in ähnlicher Form  auch mit dem deutschen Wirtschaftswunder der 1950er Jahre in Verbindung gebracht wird.) [3]

Jedoch gehörte Friedman nicht mehr der Österreichischen Schule an, sondern zur sogenannten Chicago Schule. Welchen Einfluss die Österreichische Schule auf China hatte, ist in der Literatur umstritten. (Murray Rothbard sagte jedoch, die chinesische Regierung wollte dem amerikanischen Mises Institut möglichst viele Bücher zu dem Thema abkaufen.)   Die wissenschaftliche Abhanldung „The (Im-)Possibility of Rational Socialism: Mises in China’s Market“ (Die (Un-)möglichkeit eines rationalen Sozialismus: Mises im chinesischen Markt.“ von Isabella Weber stellt die These auf, dass der chinesische Ökonom Jiang Chunze ein Anhänger Ludwig von Mises gewesen sei, und den Fehlschlag von Maos „großem Sprung nach vorn“ nutzen wollte, um österreichische Ideen mit den Ideen des sogenannten „Marktsozialismus“ zu kombinieren. Neben ihm sollen ändere wie Jing Rongben und deren Thematisierungen des sogenannten „sozialistischen Kalkulationsproblem“ (welches vor allem durch Mises aufgeworfen wurde) entscheidend für die Reform gewesen sein. (sozialistisches Kalkulationsproblem  = wenn es einen zentralen Planer gibt, der Preise festsetzen kann, gibt es keinen Unterbietungswettbewerb mit dem Ziel, Dinge zum günstigsten Preis herzustellen, weshalb so eine Situation drauf hinaus läuft, dass vermeidbare hohe Kosten nicht erkannt werden.)

Laut diesem Paper soll Rongben bei Betrachtung dieses Themas auf einen für die 4. Politische Theorie interessanten Gedanken gekommen sein: Es gibt kein ökonomisches Idealmodell, was in jedem Ort funktioniert, und auf das der Fortschritt unvermeidlich hinsteuert.  Stattdessen müssten Bewohner einer Region  selbst das für sie geeignetste ökonomische Modell finden. Und dies könnten sie nur finden, wenn es eine Möglichkeit gäbe, dass unterschiedliche Modelle entstehen, und „wettbewerblich“ geprüft werden könnten. (Ergo allgemeiner: eine globalpolitische progressive Monokultur endet ebenfalls in der Unterminierung von Wettbewerb und der Entstehung von  „Misswirtschaft“.)  

Gleichzeitig schrieb Rongben, Sozialisten müssten die Doktrin der Gleichheit aufgeben. Jedoch muss gesagt werden, dass chinesische Ökonomen folgerten, dass Privateigentum und Individualismus nicht zwingend für eine funktionierende Ökonomie notwendig seien und staatliche Eingriffe nicht zwingend abzulehnen seien. Es müsse nur dafür gesorgt werden, dass der Wettbewerb nicht unterminiert werde. (Es ist jedoch nicht zwingend erklärt, WER im Wettbewerb stehen muss.) Sie empfahlen jedoch, zumindest ein bestimmtes Maß an Privateigentum zu erlauben und nicht alles zu verstaatlichen. Dies erinnert etwas an Thiriarts „Ökonomie der Macht“.

Rongbens Bekenntnis zum Wettbewerb, kann mit Nietzsche gesagt werden, ist in gewisser Weise Bekenntnis zur menschlichen Natur. Und komplette Verweigerung gegenüber jedem Wettbewerb ist   lebensfeindlich. Nur muss ein Wettbewerb auch kein unsolidarisches „Jeder gegen Jeden“ sein. Man kann gut sagen, dass Familie, Kirchengemeinde, Volk etc. schon ein „Team“ im Wettbewerb bilden sollten, welches sich solidarisch zueinander verhält und auch schwachen Mitgliedern helfen sollte.   Die Besten des Teams sollen ruhig um ihren Platz im „Sturm“ Kämpfen, jedoch müssen die anderen Mitglieder ebenfalls mitgezogen werden.

So ein "Misesianismus mit chinesischen Charakteristiken"  erlaubt nun im Allgemeinen, Marktsysteme ohne Primat des Individuum, wie z.B. die christliche Soziallehre, G.K. Chestertons Distributismus, den Strasserismus, prämoderne Gildensysteme (wie sie z.B. von  Crowley und Evola vertreten wurden)  und bieten die Möglichkeit Ideen von Leuten wie Pierre-Joseph Proudhon mit der österreichischen Schule versöhnen.

Die Chinesische Regierung wollte ebenfalls bei den Reformen den Einfluss von Unternehmen auf die Politik verhindern. Dieses Prinzip sollte ebenfalls übernommen werden, denn im westlichen „Liberalismus 2.0“ herrscht als Prinzip das krasse Gegenteil vor und Unternehmer wie Bill Gates und George Soros wollen sich über NGOs als politische Gestalter profilieren und die Gesellschaft umbauen. Unternehmer sollten sich jedoch nicht als „Gesellschaftsklempner“ aufspielen können.  Die linksliberale amerikanische Idee des Unternehmers  als fortschrittlichen Wohltäters, der die Gesellschaft weiter bringt, mag auf dem Papier vielleicht schön klingen. Doch ein Blick auf Soros und Co, oder auf die Tatsache, dass in den 30er Jahren US Unternehmer die Eugenikbewegung förderten, zeigt, Friedmans Spruch „Der einzige Zweck des Unternehmers ist Geld zu verdienen“  möglicherweise doch am Ende besser und humaner war.[4]

Ein Problem der Österreicher ist natürlich ebenfalls das man in liberaler Tradition alle Menschen de Facto zu Unternehmern erklärt, die aus reinen rationalen Gründen freie Entscheidungen treffen. Die Idee eines armen Proletariers, der aus Existenznot in einen „Scheissjob“ gezwungen wird, den er nur macht, um nicht zu Verhungern, den er aber eigentlich innerlich verflucht, ist in diesem Zusammenhang geradezu absurd, während sein Boss die Existenznot dieses „Armen Schluckers“ zum eigenen Profit ausnutzt. Die kommt bei Mises und Co nicht vor. Dies zeigt, dass die Theorie der österreichischen Schule nur einen Teil der Wahrheit abbilden kann und durch andere Konzepte der zweiten politischen Theorie und teilweise sogar der dritten Theorie (Ernst Jüngers Arbeiter) ergänzt werden muss.

[1] In Deutschland  entstand nach 1945 unter dem durch die österreichische Schule beeinflussten Ludwig Erhard eine sehr auf Familien und Tradition bedachte Wirtschaft. Und in Ländern wie Japan fügte sich die Wirtschaft ebenfalls oft unter Einfluss der „Österreicher“  gut in die Tradition ein, statt diese anzugreifen.

[2]Interessant ist hierbei, dass Personen wie  Lee Kuan Yew (Singapur) sehr oft eine Mischung der Ideen von Hayek  und Konfuzius lehrten.

[3] China als Beispiel zeigt, dass der durch Roland Baader geprägte Begriff des „Geldsozialismus für bewusst erzeugte Inflation“  ist ziemlicher Schwachsinn.

[4] Der Liberalismus 2.0 muss sowieso als eine Marketingkampagne gesehen werden, um den Linken den liberalen Kapitalismus schmackhaft zu machen. Dieses NGO System eines Soros oder Gates wäscht die Position des Unternehmers rein.  Die Minderheitenpolitik in ihm ist immer mit der impliziten Aussage  verknüpft, dass gerade der Kapitalismus  es ist, der den „Armen diskriminierten Minderheiten“ weiterhilft. Folge dessen ist jedoch, dass dies dafür sorgt, dass der „Homo Oeconomicus“ in gesellschaftliche Bereiche vordringt, wo der nicht hingehört.