Italien: Worum geht es bei der Verfassungsreform?

01.12.2016
Ein Kommentar des Philosophen und Freidenkers Diego Fusaro

Am 4. Dezember 2016 werden die Italiener über die vom Partito Democratico vorgeschlagene Reform der Verfassung abstimmen. Die Erläuterung der "Ja"- und "Nein"-Begründungen, anhand derer die Italiener sich entscheiden müssen, ob sie den reformierten Text genehmigen werden oder nicht, würde den Rahmen hier sprengen. Ich beschränke mich deshalb auf den Hinweis, dass die italienische Verfassungsreform weitgehend von äußeren, staatsfernen Kräften erwünscht, wenn nicht sogar direkt auferlegt wird.

Es findet sich zum einen die Finanzgruppe JP Morgan, die bereits im Jahr 2013 in einem Dokument festgehalten hatte, dass eine Reform der von sozialistischen Ideen durchtränkten und auf Arbeitnehmerrechte zentrierten italienischen Verfassung von Nöten sei. Zum anderen findet sich der scheidende amerikanische Präsident Obama, der ebenfalls ausdrücklich das "Ja" unterstützt. Zu guter Letzt findet sich die Europäische Union, die, wie wir wissen, schon lange schamlos in das nationale Leben der Nationalstaaten eingreift, wie es in emblematischer Weise das "Briefchen" von 2011 der EZB an die italienische Regierung mit spezifisch einzuhaltenden politischen Richtlinien belegt.

Sagen wir es ganz offen – die EU will diese Reform: Es ist kein Zufall, dass sie eine weitere Souveränitätsübertragung von unserem Land an die EU vorsieht. Die totale Verdinglichung (Marx) beinhaltet die Entpolitisierung (Schmitt), damit die entpolitisierte Wirtschaft unangefochten herrschen kann.

Dies ergibt sich übrigens auch aus der Einleitung des Verfassungsentwurfes vom 8. April 2014. Unter dem Titel "Die Gründe für die Reform", bringt die Regierung selbst die Ziele zum Ausdruck: "Die Verlagerung des Entscheidungsschwerpunktes, der mit der starken Beschleunigung des europäischen Integrationsprozesses verbundenen ist, und insbesondere die Notwendigkeit, die interne Ordnung den jüngsten Entwicklungen der europäischen Wirtschaftsgovernance (daher, unter anderem, auch die Einführung des Europäischen Semesters und die Reform des Euro-Stabilitätspaktes) und deren strengen Haushaltsregeln (wie die neuen Regeln zu Schulden und Ausgaben) anzupassen; die Herausforderungen der Internationalisierung der Wirtschaft und des geänderten Kontextes des globalen Wettbewerbs." Klarer geht es nicht!

Kurz gesagt, führt diese namentlich von Premierminister Renzi vorgeschlagene und von der EU gewünschte Reform (aber auch, ich wiederhole es, von den USA und JP Morgan) die neue verfassungsrechtliche Verpflichtung der aktiven oder - ich wage es auszusprechen – unbedachten Teilnahme Italiens an der Entstehung und Umsetzung der europäischen Rechtsvorschriften und der EU-Politik ein.

Anders ausgedrückt "konstitutionalisiert" diese Reform die EU zu einer Macht, der sich Italien rückstandslos unterstellen muss: Das ist der Höhepunkt des Abbaus der Souveränität des italienischen Staates. So wird die Reform eine tatsächliche Infragestellung der europäischen Politik auf Grund eines Konfliktes mit den nationalen Rechtsvorschriften und den Grundsätzen unserer Verfassung erschweren.

Telepolis (30.11.2016)