EU verpfuscht die Gas-Politik auf dem Balkan

18.03.2016

Brüssels Bürokraten sind fest entschlossen, Europas Abhängigkeit von russischem Erdgas zu brechen. Aus diesem Grund haben sie den Bau einer Gas-Pipeline von Aserbaidschan quer durch die Adria nach Griechenland genehmigt. Auf dem Papier sieht das Vorhaben durchaus realistisch aus. Aber es gibt ein Problem: Es ist nicht realistisch. Vielmehr sehen wir hier den jüngsten Zug im Pipeline-Krieg, den die EU gegen Russland führt. Es ist eine Auseinandersetzung, in der sich die EU selbst schlägt. Aber die Hauptverlierer sind EU-Verbraucher und die Wirtschaft.

Nun kann die Trans-Adria-Pipeline (TAP) also gebaut werden und Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa bringen. Die Europäische Kommission hat einer Vereinbarung zwischen der griechischen Regierung und der TAP AG über den Bau zugestimmt. Die EU-Kommissarin für Wettbewerb, die Dänin Margrethe Vestager, erklärte: »Die Trans-Adria-Pipeline wird neues Gas in die EU bringen und die Sicherheit der Energieversorgung von Südosteuropa verbessern.«

Der TAP AG werden im Zusammenhang mit dem Bau in Griechenland Steuervorteile eingeräumt.

Um das Abkommen attraktiv zu machen, befreite die hoch verschuldete griechische Regierung das Unternehmen für 25 Jahre von der Steuerpflicht. Die TAP AG ist ein Zusammenschluss von BP, dem staatlichen aserbaidschanischen Energiekonzern SOCAR sowie Firmen aus Italien und Belgien.

Die Pipeline wird an den sogenannten Südlichen Gaskorridor der EU angeschlossen und Erdgas vom Kaspischen Meer nach Europa transportieren. Dort fließt es durch Griechenland, Albanien und die Adria bis nach Süditalien. Bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr soll die geplante Pipeline transportieren können.

Hastige Reaktion auf Gazprom

Die TAP-Vereinbarung wurde hastig verkündet, nachdem nur wenige Tage zuvor das russische Unternehmen Gazprom einen neuen Vorschlag für die Erdgasversorgung des Balkans vorgelegt hatte. Bei diesem Vorschlag wird die kriegsgeplagte und als Staat nicht funktionierende Ukraine umgangen.

Am 25. Februar hatte Gazprom angekündigt, eine Pipeline unter dem Schwarzen Meer zu bauen. Über ein namentlich nicht genanntes Drittland soll auf diesem Weg russisches Erdgas nach Griechenland und von dort aus weiter nach Italien gepumpt werden. Der Gazprom-Chef Alexei Miller, der staatliche griechische Gaskonzern DEPA und das italienische Unternehmen Edison unterzeichneten in Rom eine entsprechende Absichtserklärung.

Das Projekt ist ein weiterer Versuch, Südeuropa mit russischem Erdgas zu beliefern. So umgeht man das unsichere ukrainische Pipelinenetz, ebenso die Türkei, deren Beziehungen zu Russland momentan stark angespannt sind. Gründe sind der Syrien-Krieg und die Tatsache, dass die Türkei vergangenes Jahr widerrechtlich im syrischen Luftraum ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen hat.

Eigentlich hatte Bulgarien eine Erdgaspipeline mit Russland vereinbaren wollen, gab das Projekt jedoch auf, nachdem Washington über die EU starken Druck ausüben ließ. Dieses Vorhaben war als Teil von South Stream gedacht, einem Pipeline-Netzwerk, das Südeuropa mit russischem Erdgas versorgen sollte. Analog dazu entsteht im Norden unter der Ostsee die Pipeline North Stream, die nach Norddeutschland verläuft.

South Stream sollte 40 Mrd. Dollar kosten und 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas transportieren können. Die Streckenführung umging die Ukraine vollständig, stattdessen wäre die Route über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich verlaufen. Gescheitert sind die Pläne an dem Druck, den Brüssel und Washington auf Bulgarien und Gazprom ausübten.

South Stream habe nicht in Einklang mit dem Dritten Energiepaket der EU gestanden, hieß es in Brüssel. Dieses Maßnahmenpaket wurde de facto in der Absicht geschnürt, Gazproms wachsender Präsenz auf dem Gasmarkt in der EU einen Riegel vorzuschieben. Letztlich entschied Russlands Präsident Wladimir Putin, das South-Stream-Projekt mit Bulgarien abzusagen, das als Anlaufstelle für weitere Märkte im Süden der EU gedacht gewesen war. Die Briten und andere Völker der EU merken inzwischen, dass in den zentralen Planungen der EU kein Platz ist für das Recht eines Landes auf souveräne Entscheidungen.

An dem Tag im Dezember 2014, als Putin South Stream absagte, traf er sich in Ankara mit Erdoğan und anderen türkischen Vertretern (damals noch in freundlicherer Atmosphäre). Der russische Präsident erklärte damals, Gazprom und der türkische staatliche Pipeline-Betreiber BOTAS stünden in Verhandlungen über eine neue Untersee-Gaspipeline bis zur türkisch-griechischen Grenze.

Von dort aus sollte das Erdgas auf Pipelines verteilt werden, die von unterschiedlichen EU-Staaten gebaut werden sollten.

Da die Pipelines den Ländern und nicht Gazprom gehören würden, wären die Bedingungen des Dritten Energiepakets erfüllt. Doch auch dieses, Turk Stream genannte, Vorhaben ist tot und begraben. Nachdem die Türkei im November 2015 ein russisches Kampfflugzeug vom Typ Su-24 abschoss, verhängte Russland Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei.

USA mischen sich bei TAP ein

Vertreter von Griechenland, Italien und Gazprom trafen sich also, um eine Absichtserklärung zu der »Poseidon« getauften neuen Erdgaspipeline zu unterzeichnen. Keine Woche später berichteten griechische Medien: »Europäische Union und USA distanzieren sich von der Wiederbelebung der South-Stream-Gaspipeline, die russisches Erdgas über Griechenland und Italien nach Europa transportieren soll.«

Eine interessante Wortwahl. Auf welcher rechtlichen Grundlage kann sich die Regierung der Vereinigten Staaten von einem Energieabkommen »distanzieren«, das Griechenland, Italien und Russland betrifft? Ganz genauso Brüssel. Beanspruchen die das Recht, weltweit die Energieflüsse zu kontrollieren?

Ups!

Dass Washington nun überhastet ein Abkommen mit der Regierung Aserbaidschans geschlossen hat, Griechenland mit Erdgas zu versorgen, wäre ja schön und gut, gäbe es da nicht ein klitzekleines Problem: Was Aserbaidschan offshore an Erdgas fördert, ist so wenig, dass die Regierung in Baku und ihr staatlicher Mineralölkonzern SOCAR gezwungen sind, über die Möglichkeit von Gasimporten nachzudenken. Und zwar aus… Russland, von Gazprom!

Die »aktive Arbeit am SOCAR-OGPC-Projekt sei vorübergehend eingestellt worden«, erklärte am 19. Februar Tofig Gahramanow, bei SOCAR Vorstand für strategische Entwicklung.

Aserbaidschans Energieminister Natiq Alijew hat gesagt, dass die Gasproduktion dieses Jahr leicht steigen wird, von 29,1 Milliarden Kubikmeter im vergangenen Jahr auf 29,3 Milliarden Kubikmeter. Das Problem daran: Die Produktion von SOCAR geht zurück. Bestehende Verpflichtungen gegenüber ausländischen Abnehmern könnten dementsprechend nun dazu führen, dass man zu wenig Erdgas für den Verbrauch im Inland hat. Und da ist das neue Exportgeschäft über Griechenland noch gar nicht berücksichtigt, das Washington und Brüssel mit ihrem TAP-Projekt vorantreiben.

Den Großteil seines Exportgases bezieht Aserbaidschan aus dem gewaltigen Offshore-Feld Schah Denis, das von BP betrieben wird. Dieses Gas ist allerdings bereits für den Verkauf in die Türkei und nach Georgien vorgemerkt. BP sagt, die Produktion werde in den kommenden paar Jahren stagnieren. Also kein Gas für Griechenland und Italien.

Die geopolitisch motivierte Energiepolitik, die Washington und Brüssel betreiben, um russisches Erdgas zurückzudrängen, führt in den Volkswirtschaften Südeuropas zu schweren Krisen. Serbien teilte gerade mit, man werde 2019 ganz ohne russisches Erdgas dastehen, das durch die Ukraine geleitet wird. »Bis dahin müssen wir einen anderen Weg finden, an Gas zu gelangen«, so die Regierung.

Washington will den EU-Staaten verflüssigtes Schiefergas anbieten. Das sieht kaum wie eine realistische Alternative aus. Die Schiefergas- und Erdölbranche in den USA kämpft angesichts der aktuell extrem niedrigen Preise ums nackte Überleben.

Brancheninsider sprechen von »trüben Aussichten«, was die Zukunft des Schiefergases anbelangt. Viele Produzenten haben Konkurs angemeldet und Zehntausende Menschen verlieren ihre Anstellung, während Banken Kredite kürzen. Zudem treten viele der produktivsten Schiefergasfelder aufgrund der raschen Förderung in eine Phase schnellen Verfalls ein. Die Blase rund um amerikanisches Schiefergas und Erdöl ist geplatzt. Ganz abgesehen davon: Momentan gibt es in den gesamten Vereinigten Staaten exakt einen einzigen Terminal, der für verflüssigtes Schiefergas ausgelegt ist, und zwar in Texas.

Die USA und Brüssel führen sich auf wie schlecht erzogene kleine Jungen, die sich darum raufen, wer »der Bestimmer« sein darf. Die Welt ist es leid, dass sich Washington stets und ständig diese Rolle anmaßt. Das ist langweilig.

F. William Engdahl, Kopp online (17.3.2016)