EU-Türkei-Abkommen: Der Pakt mit dem Teufel
Um die unter chaotischen Umständen ablaufende „Flüchtlingskrise“ zu beenden, hat die Europäische Union (EU) über ein Abkommen mit der türkischen Regierung verhandelt. Zentraler Punkt der Vereinbarung ist dabei, daß die Türkei sich verpflichtet, syrische „Flüchtlinge“, die es bis nach Griechenland geschafft haben, zurückzunehmen. Im Gegenzug für jeden zurückgenommenen „Syrer“ will die EU einen syrischen „Flüchtling“ aus einem türkischen Flüchtlingslager abnehmen. Diese Lager stehen zu Recht im Ruf, daß in ihnen die Anwerbung und Ausbildung für Terroristen stattfindet. Für Flüchtlinge anderer Nationen ist der Weg durch die Türkei und Griechenland versperrt.
Als Dank für die Zusammenarbeit verspricht die EU sogar, türkischen Bürgern das Reisen im Schengen-Raum zu erleichtern. Selbstverständlich zusätzlich zu einer Zahlung von weiteren 3,3 Milliarden Euro, nachdem sich der Pate des Islamischen Staates (IS), Recep Tayyip Erdogan, mit den ersten Geldern in selber Höhe nicht ausreichend entlohnt sah.
Freilich wird damit an den Ursachen der Migrationskrise, deren wissentlicher Organisator Erdogan ist, nicht gerüttelt. Diese werden von den Mainstream-Medien gerne ausgespart. Lieber stellt man die syrischen Einwanderer als Zufluchtsuchende aus dem Kriegsgebiet dar. An dem Krieg sind selbstverständlich Assad oder Putin schuld. Zwar wird gerade in letzter Zeit Erdogans schwieriges Verhältnis zur Meinungsfreiheit kritisiert, auf seine Rolle als Unterstützer der brutalsten Terroristenbanden, einschließlich des IS und der Al-Nusra-Front, wird nur in den seltensten Fällen verwiesen. Durch Erdogans Träume von einer Wiederauferstehung des Osmanischen Reichs mit der Vorherrschaft im Mittleren Osten und in Europa klebt jetzt das Blut Zehntausender Syrer an seinen Händen.
Dr. Jamal Wakim, Professor für Politikwissenschaften und Experte für türkische Außenpolitik, hat auf die wahren Hintergründe der Migrationskrise verwiesen. Demnach haben die USA, die Türkei und einige Regierungen von EU-Ländern das Ganze inszeniert, um die öffentliche Meinung hin zu einer militärischen Intervention in Syrien zu bewegen. Der Hauptgegner dabei wäre dann natürlich Assad und nicht der IS. Jedenfalls hat das Eingreifen der Russen in den Konflikt diese Pläne zunichte gemacht und das Blatt gegen die Terroristen gewendet. Mitten im US-Vorwahlkampf wollen sich die Amerikaner keinen tiefgreifenden Konflikt mit Rußland leisten, weswegen jetzt in Washington umgedacht wird. Ebenso mußten die europäischen Regierungen ihr Handeln an die durch Rußland geänderte Lage anpassen: Das anfängliche Versprechen, jeden „Flüchtling“ bedingungslos aufzunehmen, mußte zurückgenommen werden. Und auch Erdogans Visionen von der Vormachtstellung im Nahen Osten zerbröckelte mit den Luftschlägen der russischen Kampfflugzeuge auf die von Ankara gelenkten Terroristen. Also hat Erdogan ganz im Sinne der klassischen türkischen Politik wieder einen Schritt auf Europa zu gemacht und sich zur „Bewältigung der Flüchtlingskrise“ mit den EU-Vertretern an einen Tisch gesetzt. Laut Wakim hat Erdogan mit seinem Versprechen, Flüchtlinge zurück in die Türkei zu nehmen, gleich zwei Trümpfe in der Hand: Einerseits kann er mit den Migranten jederzeit die EU-Regierungen erpressen, da man in Ankara die Möglichkeit hat, die Krise wieder neu anzufachen, wenn nicht nach Erdogans Pfeife getanzt wird. Außerdem verfügt der türkische Präsident mit den syrischen Einwanderern auch über ein machtvolles Instrument, um die Lage in Syrien zu beeinflussen.
In diesem Moment knien aufgrund dieser einfachen Tricks gerade 28 Mitgliedsstaaten der EU vor dem selbsternannten Sultan vom Bosporus. Hauptverantwortlich dafür ist die EU selbst, die nicht nur Erdogans Expansionismus in der arabischen Welt ignoriert, sondern die Türkei noch zu einer beispielhaften „Demokratie“ verklärt, deren Vorbild die anderen arabisch-islamischen Staaten besser folgen sollten.
Ein weiteres Problem des EU-Türkei-Pakts sind die Fragezeichen in so vielen Streitpunkten, die in der Vereinbarung noch gar nicht behandelt wurden. Wie viele Menschen sollen denn zwischen der EU und der Türkei getauscht werden? Wann ist Schluß? Und was passiert eigentlich, wenn Ankara sich nicht an seine Versprechen hält?
Experten gehen deshalb davon aus, daß es Monate dauern könnte, bis die Umsetzung Wirkung zeigt. Oder es passiert gar nichts. Denn ein Rückführungsabkommen zwischen der Türkei und Griechenland gibt es schon seit 2002, aber die türkische Regierung hat sich seitdem geweigert, es einzuhalten.
Deswegen läßt sich auch der Optimismus, mit dem die EU auf die neue Vereinbarung schaut, nicht nachvollziehen. Denn warum sollte der türkische Präsident sich an die Vereinbarung halten, wenn man mit der Unterstützung der Terroristen in Syrien die Asylkrise weiter verschärfen kann? Die unter Druck geratenen EU-Länder werden ihm am Ende doch weitere Milliarden überweisen.
In dieser verqueren Situation scheint es dann auch nur folgerichtig, daß nicht die EU Zweifel am Willen Erdogans zur Umsetzung der Vereinbarung äußert, sondern sich der Sultan selbst sorgt, ob Brüssel denn seinem Versprechen nachkäme, türkische Bürger im Schengen-Raum ohne Visum umherreisen zu lassen.
Der Pakt mit Erdogan ist nichts anderes als eine moralische Bankrotterklärung. Obwohl es das türkische Staatsoberhaupt geschafft hat, mit seiner aggressiven Politik die Beziehungen zu sämtlichen Nachbarn zu vergällen, fällt das Ankara-Brüssel-Abkommen ausschließlich zugunsten der Türkei aus. Mit der Vereinbarung hat Sultan Erdogan ein perfektes Mittel an die Hand geliefert bekommen, um sein angekratztes Image als Terroristen-Pate aufzupolieren. In diesem Zusammenhang sei noch auf König Abdullah von Jordanien verwiesen, einen engen Verbündeten des Westens. Bei einem Zusammentreffen mit hochrangigen US-Politikern hat der Monarch die Türkei beschuldigt, Terroristen nach Europa einzuschleusen. Abdullah verwies darauf, daß die Flüchtlingskrise mitnichten „zufällig“ entstanden sei, genausowenig wie die Anwesenheit von Terroristen in den Flüchtlingsströmen: „Die Tatsache, daß Terroristen nach Europa gehen, ist Teil der türkischen Politik, und obwohl die Türkei dafür getadelt wird, kommen sie immer damit davon.“ Auf die Frage eines Kongreßabgeordneten, ob der IS Öl in die Türkei exportiere, antwortete Abdullah: „Auf jeden Fall.“
Im Gegenzug erhalten 75 Millionen Türken im Juni eine weitgehende Reisefreiheit im Schengen-Raum anstatt wie geplant erst im Oktober. Warum diese Reisefreiheit so wichtig ist, hat der russische Politikanalyst Andrew Korybko erklärt. Seiner Meinung nach kommt die Forderung nach Visa-Freiheit für die türkischen Bürger einer Institutionalisierung der Grundproblematiken der „Flüchtlingskrise“ gleich, nämlich des Versuchs der USA und ihres türkischen Verbündeten, Europa auf unklare und widersprüchliche Positionen zu drängen und somit erpreßbar zu machen. Oder anders ausgedrückt: Es besteht kein Zweifel daran, daß Terroristen die Visa-Freiheit ausnutzen werden, um in die EU einzudringen, mit oder ohne Ankaras aktive Unterstützung.
Korybko glaubt, daß die EU ab dem Inkrafttreten der Reisefreiheit nicht in der Lage sein wird, dem Mißbrauch durch Terroristen Einhalt zu gebieten. An die 10.000 terroristische Kämpfer sind im Bereich der grenznahen syrischen Stadt Idleb in den Besitz der türkischen Staatsbürgerschaft gekommen. Dies geht aus Nachforschungen eines türkischen Journalisten hervor. Zudem kämpfen bereits etwa 2.100 Türken an der Seite von Terroristen in Syrien. Je näher sich der Krieg in Syrien dem Ende zuneigt, desto mehr der Terroristen mit türkischem Paß fliehen in den Schutz der Türkei, um sich der Rechenschaft zu entziehen. Verständlicherweise will auch Erdogan die Kriminellen nicht in seinem Land haben und wird sie als „Flüchtlinge“ in die EU ausweisen. Dort können sie ihm nicht gefährlich werden, und sie können den Dschihad in das Herz Europas tragen. Und Europa wird sich abermals an Erdogan wenden und vor dem neuen Osmanischen Reich knien.
Deutsches Nachrichtenmagazin ZUERST!, Mai 2016, S. 38/39