DUGINS „VIERTE POLITISCHE THEORIE“

21.12.2015

Es gibt zwei Arten von Büchern über Politiktheorie: Jene, die bereits bekannte Gedanken aus neuen Blickwinkeln betrachten und jene, die tatsächlich neue Ansätze präsentieren.

Alexander Dugins Buch gehört zu jener seltenen zweiten Art von Büchern und verdient schon allein deshalb Beachtung. Doch es gibt auch noch andere Gründe sich mit dem Werk des russischen Professors an der Universität Moskau, dem geistigen Anführer der Eurasienbewegung und ehemaligen Berater Putins zu beschäftigen. Schon lange hat kein Buch innerhalb der europäischen Rechten eine derartige Strahlwirkung entfalten können und so heftige Diskussionen ausgelöst, wie die Vierte politische Theorie. Zudem finden sich mit den Identitären in weiten Teilen Europas politische Gruppierungen, die sich stark an Dugins Gedankenwelt orientieren. Ein Blick in dieses Werk lohnt sich daher.
Überwindung des Liberalismus
Alexander Dugin versucht die Ursachen des geistigen und moralischen Verfalls der modernen Welt zu analysieren und bleibt dabei nicht – wie so viele andere – am Oberflächlichen hängen, sondern er geht an die Substanz. Er analysiert die Ursachen anstatt nur Symptome zu beschreiben. „The Fourth Political Theory“ wurde 2012 im Englischen von Arktos Media veröffentlicht. Arktos arbeitet gegenwärtig auch an einer deutschen Ausgabe des Buches und hofft diese auf dem am 5. Oktober in Berlin stattfindenden zwischentag präsentieren zu können.
Dugins Kerngedanke lässt sich mit einem Satz beschreiben: „Dass zuerst der Westen und schließlich die Welt spätestens seit der Französischen Revolution in ein Zeitalter des Kampfes dreier verschiedener Ideologien getreten sei, von denen eine, der Liberalismus, sich durchgesetzt habe, nun die Welt zugrunde richte und am Ende nur von der Vierten politischen Theorie überwunden werden könne.“
Was will der Liberalismus?
Hier handelt es sich um den originellen und neuen Kern von Dugins Denken: Die drei politischen Theorien der Vergangenheit seien allesamt realitätsfremd und hätten jede auf ihre eigene Art versucht, die Welt völlig umzugestalten. Da sie allesamt den Absolutheitsanspruch stellten, waren sie dabei grundsätzlich expansiv ausgerichtet und somit die Feinde traditionell gewachsener Kulturen und Identitäten, sowie der jeweils anderen Ideologien. Bei jenen drei politischen Ideologien handelt es sich um Liberalismus, Kommunismus sowie den Faschismus bzw. den Nationalsozialismus.
Der Liberalismus kam mit der Aufklärung in die Welt und beendete das Zeitalter der Traditionen und Religionen, um jenes der Ideologien und politischen Theorien einzuläuten. Politische Wirklichkeit wurde der Liberalismus erstmals dort, wo er bis heute seinen Hauptsitz hat, in den USA. Das ist – neben den für einen Russen verständlichen Ressentiments gegenüber Amerika – der Hauptgrund, warum Dugin die USA nicht nur für einen geopolitischen Gegner Russlands, sondern auch für den ideologischen Feind der eurasischen Völker hält. Dabei steht außer Frage, dass die USA sich durch ihre Geburt, Geschichte und Verfassung ganz eindeutig dem Kampf und der Verbreitung des Liberalismus (im europäischen Sinn des Wortes) verschrieben hat. Mit der französischen Revolution erlebte der Liberalismus auch in Europa eine erste Blüte und begann seinen Siegeszug gegen traditionelle Regierungs– und Wirtschaftsformen.
Diese Erste politische Theorie ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie das Individuum zum Subjekt der Geschichte macht. Alles andere spielt für sie keine relevante Rolle und wird nur von der Warte des Einzelnen betrachtet. Da es dem Liberalismus aber immer nur um den Einzelnen geht, steht er allen Dingen, die den Einzelnen einschränken könnten, ausgesprochen kritisch gegenüber. Der liberale Grundgedanke, sich von gesetzlicher Ungleichbehandlung und wirtschaftlichen Schranken zu befreien, wurde in moderner Zeit schließlich zum Kampf gegen Migrationsbarrieren, die traditionelle Familie und soziale Verantwortung. Der Grundgedanke ist dabei immer derselbe: Der Einzelne solle möglichstkeinen Zwängen unterliegen und in seinen Entscheidung keinesfalls eingeschränkt werden.
Was will der Kommunismus?
Als Antwort auf das liberale Wirtschaftssystem (den Kapitalismus) in der Mitte des 19. Jahrhunderts ersonnen, macht der Kommunismus als Zweite politische Theorie die Klasse zum Subjekt der Geschichte und sieht alles andere nur aus ihrem Blickwinkel.
Den Hauptideologen Karl Marx und Friedrich Engels zufolge, befinden sich die Menschen seit der Erfindung der Landwirtschaft in einem permanenten Klassenkampf, der mit der kommunistischen Weltrevolution ein Ende finden würde. Politische Bedeutung errang der Kommunismus erst mit der kommunistischen Revolution in Russland im Jahr 1917.
Was will der Faschismus?
Der Faschismus und seine Abwandlung der Nationalsozialismus waren direkte Reaktionen auf den Aufstieg des Kommunismus und somit die Dritte politische Theorie. Der von den Kommunisten propagierte Klassenkampf wurde in vielen Ländern mit dem lauten Ruf nach Einigkeit von Nation und Staat beantwortet, der in der ideologischen Ausrichtung des Faschismus bzw. Nationalsozialismus seine Form fand.
Faschismus als auch Nationalsozialismus erklärten den Staat bzw. die Rasse zum Subjekt der Geschichte und schlussfolgerten daraus, dass der Einzelne nur zum Wohle des Staates oder dem Fortbestand der Rasse zu handeln habe. Politische Bedeutung errangen beide Formen besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert in Italien und Deutschland.

Nachdem Markus Willinger sich den drei modernen politischen Theorien widmete, geht er nun auf deren Kampf und die von Dugin angedeutete Alternative ein.

Nachdem sich alle drei politischen Theorien einen oder mehrere Trägerstaaten gesucht hatten, brach zwischen diesen Staaten fast notwendigerweise ein Krieg aus. Dabei verbündeten sich die liberalen und kommunistischen Länder gegen den Faschismus bzw. Nationalsozialismus, vernichteten diesen und führten damit das rasche Ende der Dritten politischen Theorie herbei.
Im nun folgenden „Kalten Krieg“ überwand schließlich der Liberalismus den Kommunismus, leitete seine Alleinherrschaft ein und beendete schließlich den Kampf der Ideologien. Dabei hält Dugin es keineswegs für einen Zufall der Geschichte, dass sich ausgerechnet der Liberalismus durchsetzte. Dieser sei nämlich von allen drei Theorien den Bedürfnissen der Menschen am nächsten. Denn während das Zurückstellen der eigenen Interessen für Staat oder Rasse für den Großteil der Menschen von nur geringer Attraktivität sei und der Kommunismus seine Existenzberechtigung mit der Überwindung der Arbeiterarmut in den kapitalistischen Ländern verloren habe, sei der Ruf nach mehr Rechten für den Einzelnen immer wieder in der Lage gewesen, große Menschenmengen zu mobilisieren. Der Liberalismus hat sich also als dem Faschismus und dem Kommunismus klar überlegen erwiesen.
Die Tyrannei der Freiheit
Der Liberalismus mag den Wünschen der Menschen viel näher gekommen sein als die Zweite oder Dritte politische Theorie und hat sich daher nahezu global durchgesetzt, dennoch wird er Dugin zufolge unweigerlich (und seinem Siegeszug zum Trotz) in sich zusammenbrechen und untergehen. Er brauche dafür nur etwas mehr Zeit.
Dugin hält eine Gesellschaft, in der nur das Einzelinteresse zählt und in der Religion, Moral und Tradition dem Wunsch nach uneingeschränkter Freiheit letztendlich zum Opfer fallen müssen, für nicht lebensfähig. Niedrige Geburtenraten, fehlender gesellschaftlicher Zusammenhalt und der mangelnde Wille zur Verteidigung der Gesellschaft, müssten langfristig zum Zusammenbruch des Liberalismus führen.
Alexander Dugin erklärt zudem, dass die „Herrschaft der Freiheit“ wie sie der Liberalismus propagiert, vielmehr zum unfreisten Menschen aller Zeiten geführt habe. Dugin macht dabei die nietzscheanische Unterscheidung von „Freiheit von“ und „Freiheit zu“ stark und erklärt, dass die Menschen heutzutage zwar alles tun könnten, in Wirklichkeit aber jeden Willen zur Gestalt oder hohen Politik verloren hätten und daher nur noch Sklaven ihrer niederen Instinkte seien. Wer gegen den Liberalismus kämpfe, kämpfe also auch gegen die „Tyrannei der Freiheit“.
Der Kern der Vierten politischen Theorie bleibt diffus
Der Liberalismus ist das momentan herrschende Grundübel der Welt und muss überwunden werden. Die Kritik an der Dekadenz und dem Niedergang unserer Zeit werde jedoch grundsätzlich von der falschen Richtung geführt. Während eine Seite einen Neuaufguss des Kommunismus für die Lösung hält, fordert die andere eine Adaption des Faschismus. Einige besonders lustige Zeitgenossen meinen sogar, die Probleme unserer Zeit lägen darin, dass noch immer nicht genügend Liberalismus umgesetzt sei und der Staat sich in zu viele Dinge einmische.
All diese Konzepte können Dugin zufolge den Liberalismus (und die mit ihm verbundene Dekadenz) niemals überwinden. Es brauche daher eine neue Theorie, die Vierte politische Theorie, die den Liberalismus ablösen solle. Es fällt dabei auf, dass die Beschreibung der Vierten politischen Theorie in Dugins Werk keinen zentralen Raum einnimmt, er überlässt es scheinbar ganz bewusst anderen diese Theorie näher zu beschreiben. Was Dugin uns an Bausteinen in die Hand drückt, liest sich wie eine Mischung der Werke von Gulliaume Faye und Alain de Benoist. Dugin beschreibt eine multipolare Welt ohne Hierarchien der Völker und Kulturen, sowie eine Verbindung des Traditionellen mit der Zukunft.
Ein Ausblick?
Alexander Dugins Vierte politische Theorie stellt ein ausgesprochen wichtiges Werk dar. Seine Einteilung in die drei beschriebenen politischen Theorien ist neu und wichtig und hilft vor allem den Glauben zu vermeiden, man könne die Probleme unserer Zeit mit Wiederbelebungen von Kommunismus oder Faschismus oder gar mit noch mehr Liberalismus lösen.
Erscheint auch seine (hin und wieder durchschimmernde) geopolitische Vision einer eurasischen Großallianz gegen die von Geburt an liberalistischen USA, wie der Wunschtraum eines Russen, der an die Stärke der Sowjetunion gewöhnt war, so verdient Dugins ideengeschichtliche Arbeit dennoch große Anerkennung und wird ohne jeden Zweifel von weiteren Denkern fortgesetzt werden. In jedem Fall ist seine Vierte politische Theorie ein Buch, das sich definitiv zu lesen lohnt.