Die Irrtümer der liberal-westlichen Sicht des Nahen Ostens
Islamisches Versagen und westlicher Erfolg
Jahrhundertelang war der Islam eine große Kultur, führend in Wissenschaft und Technik. Ab dem 16. Jahrhundert begann diese Kultur jedoch langsam hinter Europa zurückzubleiben. Und im 19. Jahrhundert ging die gesamte islamische Welt in kürzester Zeit durch das imperialistische Europa unter. Militärisch wurden die Muslime immer wieder besiegt und selbst das einst mächtige Osmanische Reich war gezwungen, von Europa diktierte Friedensverträge zu unterzeichnen. Außerdem erwiesen sich die liberalen westlichen Volkswirtschaften als weitaus mächtiger als die der islamischen Welt. Auch politisch zählte der Nahe Osten nicht mehr. Dies führte in der islamischen Welt zu einer Debatte darüber, was falsch gelaufen war.
Die Verlagerung des jahrhundertealten Handels und geistigen Austauschs zwischen Europa und dem Nahen Osten auf den Atlantik bedeutete den Niedergang des Nahen Ostens. Die Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 veränderte die jahrhundertealten Handelsrouten, so dass sie nicht mehr durch den Nahen Osten führten: Europa handelte nun mit Afrika (Sklaven) und mit seinen asiatischen und amerikanischen Kolonien. In der Zwischenzeit entwickelte Europa auch bessere Waffen und der aufkommende Kapitalismus förderte den Kolonialismus durch die Mobilisierung großer Kapitalmengen. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts lieferte der Nahe Osten weiterhin Textilien nach Europa.
Die moderne Geschichte des Nahen Ostens beginnt 1798 mit dem Einmarsch von General Napoleon Bonaparte in Ägypten und Palästina. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Prozess der islamischen Niederlage und des Rückzugs auf dem Balkan und in Osteuropa bereits begonnen. Die französische Invasion lehrte die islamische Welt, dass eine europäische Macht ungestraft eindringen und tun konnte, was sie wollte. Selbst der Abzug der französischen Truppen wurde nicht von den Ägyptern oder Osmanen herbeigeführt, sondern von der britischen Flotte von Vizeadmiral Horatio Nelson, was eine zweite Lektion bedeutete: Nur eine andere europäische Macht konnte eine eindringende europäische Macht wieder vertreiben.
Ab dem 18. Jahrhundert wurde das Osmanische Reich also geschwächt und Europa begann, seinen Einflussbereich dort auszubauen. Die verschiedenen Religionen im Osmanischen Reich bildeten jeweils ein 'Millet', so dass jede Glaubensrichtung auf religiöser Ebene Selbstverwaltung genoss. Dies erleichterte die europäische Infiltration. Unter anderem waren hier die so genannten 'Kapitulationen' sehr wichtig. Dabei handelt es sich um Verträge zwischen dem Osmanischen Reich und befreundeten westlichen Ländern, nach denen die Untertanen des betreffenden westlichen Staates nicht dem osmanischen Strafrecht unterlagen, sondern nach dem Recht ihres eigenen Landes verurteilt wurden. Der bekannteste Vertrag ist der zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich von 1536, der sich 1740 zu einer Kombination aus Nichtangriffspakt, Handelsvertrag und weitreichenden Privilegien für französische Untertanen im gesamten Osmanischen Reich entwickelte. Da diese Kapitulation 1740 auch ewige Gültigkeit erlangte, konnte sich Frankreich im 19. Jahrhundert auf sie stützen, um in das schwache Osmanische Reich einzugreifen.
Nach Prüfung des islamischen Scheiterns und des westlichen Erfolgs wurden Reformen eingeleitet: Modernisierung der Armee (westliche Methoden, Waffen und Ausbildung), Industrialisierung der Wirtschaft und Übernahme des westlichen politischen Systems. Dies erwies sich jedoch als vergeblich. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch versuchte das Osmanische Reich, mit dem wachsenden Imperialismus des liberalen und industriellen Europas fertig zu werden. Dennoch wurden viele osmanische Territorien in Nordafrika und Südwestasien zu europäischen Kolonien oder Einflusszonen. Daher wurden mehrere Reformen der osmanischen kaiserlichen Strukturen durchgeführt, um das Reich besser gegen eine ausländische Vorherrschaft zu verteidigen. Dies führte zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer gründlichen Reform der Justiz, der Armee und der Verwaltung, aber auch zu einer wachsenden wirtschaftlichen und kulturellen Präsenz Europas und zur Entstehung erster nationalistischer Bewegungen bei vielen Völkern im Osmanischen Reich, beispielsweise bei den Armeniern, Arabern und maronitischen Christen im Libanongebirge. Die islamische Welt wurde also in den letzten drei Jahrhunderten nicht nur von Europa überflügelt, sondern auch von ihm beherrscht und kolonisiert.
Auch die Debatte um den 'Ijtihad' in der islamischen Welt dauert nun schon drei Jahrhunderte an und bietet immer wieder neue Erklärungen. Ijtihad" bedeutet Vernunft, aber dieser Begriff bezieht sich hauptsächlich auf die verschiedenen Bewegungen, die seit dem späten 18. Jahrhundert entstanden sind und Veränderungen forderten. Diese Bewegungen waren primo der reformistische Wahhabismus und der konservative Salafismus; secundo der islamische Modernismus von Jamal ad-Din al-Afghani und Mohammed Abdu; und tertio die Kombinationen, die Rashid Rida und Hassan al-Banna daraus machten.
Zusammenprall der Definitionen
Samuel Huntingtons 1993 erschienenes Buch 'Clash of Civilisations'[1] kündigte eine völlig neue Weltpolitik an, ist aber ein Mythos. Huntington argumentierte, dass bis dahin Kriege zwischen Ideologien geführt wurden und dass internationale Konflikte fortan eine kulturelle Ursache haben würden. Diese "kollidierenden Zivilisationen" - d.h. westliche gegen nicht-westliche Zivilisationen - würden von nun an die internationale Politik dominieren. Damit schlug er Kapital aus der Idee einer 'Neuen Weltordnung', die von Präsident Bush Sr. ins Leben gerufen wurde, und dem bevorstehenden Jahrtausendwechsel.
Huntingtons These ist eine recycelte Version der These des Kalten Krieges, dass Konflikte ideologisch bedingt sind: Für ihn dreht sich schließlich alles um die westliche liberale Ideologie gegen andere Ideologien. Mit anderen Worten, der Kalte Krieg wurde einfach fortgesetzt, aber an neuen Fronten (Islam und Naher Osten). Huntington zufolge musste der Westen eine interventionistische und aggressive Haltung gegenüber nicht-westlichen Zivilisationen einnehmen, um eine Vorherrschaft des Westens zu verhindern. Er wollte also den Kalten Krieg mit anderen Mitteln fortsetzen, anstatt zu versuchen, die Weltpolitik zu verstehen oder die Kulturen zu versöhnen. Diese kriegerische Sprache war Wasser auf die Mühlen des Pentagon und des militärisch-industriellen Komplexes der USA.
Huntington interessierte sich jedoch nicht für die Geschichte der Kulturen und war auch sehr fehlgeleitet. Viele seiner Argumente stammten nämlich aus indirekten Quellen: So analysierte er die Funktionsweise von Kulturen nicht richtig und stützte sich hauptsächlich auf Journalisten und Demagogen und weniger auf Wissenschaftler und Theoretiker. Sogar den Titel seines Buches übernahm er von Bernard Lewis' Artikel 'The Roots of Muslim Rage'[2]: Eine Milliarde Muslime sollen wütend auf unsere westliche Modernität sein, doch die Vorstellung, dass eine Milliarde Muslime alle dasselbe denken und einem homogenen Westen gegenüberstehen, ist zu einfach. Huntington hat also von Lewis übernommen, dass Kulturen homogen und monolithisch sind, ebenso wie der unveränderliche Unterschied zwischen 'uns' und 'ihnen'.
Der Westen wäre auch allen anderen Kulturen überlegen und der Islam per Definition antiwestlich: Die Tatsache, dass Araber große Teile der Welt (Europa, Südasien, Ostafrika) lange vor Marco Polo und Kolumbus erkundet haben, spielte für ihn jedoch keine Rolle. Huntington glaubte auch, dass alle Kulturen (China, Japan, die slawisch-orthodoxe Welt, der Islam, ...) einander feindlich gesinnt sind, und außerdem wollte er diese Konflikte als Krisenmanager managen, anstatt sie zu lösen. Hier können wir die Weisheit in Frage stellen, ein derartig vereinfachtes Bild der Welt zu zeichnen und Generäle und Politiker auf dieser Grundlage handeln zu lassen. Schließlich wird dadurch die rassisch-kulturelle Kriegstreiberei mobilisiert. Eigentlich müssen wir uns fragen, warum überhaupt jemand die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts erhöhen will!
Groteske, vage und manipulierbare Abstraktionen wie 'der Westen', 'der Islam', 'die slawische Kultur', ... sind heute allgegenwärtig und durchdringen rassistische und provokative Ideologien, die weit schlimmer sind als die des europäischen Imperialismus in der zweiten Hälfte des 19. Imperialistische Mächte erfinden daher ihre eigenen Kulturtheorien, um ihren Expansionismus zu rechtfertigen, wie z.B. die Manifest Destiny der USA oder Huntingtons 'Clash of Civilisations'. Diese Theorien beruhen auf Kämpfen und Zusammenstößen zwischen Kulturen. Solche Bewegungen gibt es auch in Afrika und Asien, wie den islamischen Zentrismus, den israelischen Zionismus, das ehemalige südafrikanische Apartheidregime, ...
In jeder Kultur definieren die kulturell-politischen Führer auf diese Weise, was 'ihre' Kultur bedeutet, was folglich als 'Kampf der Definitionen' und nicht als 'Kampf der Kulturen' bezeichnet werden sollte. Diese offizielle Kultur spricht im Namen der gesamten Gemeinschaft. In jeder Kultur gibt es jedoch alternative, heterodoxe, inoffizielle Formen der Kultur, die die orthodoxe offizielle Kultur herausfordern. Huntingtons 'Kampf der Kulturen' berücksichtigt diese Gegenkultur der Arbeiter, Bauern, Bohèmiens, Außenseiter, Armen, ... Keine Kultur kann jedoch verstanden werden, ohne diese Herausforderung der offiziellen Kultur zu berücksichtigen, denn dadurch verpasst man das, was in dieser Kultur vital und fruchtbar ist! So sollte nach Ansicht des Historikers Arthur Schlesinger[3 ] die amerikanische Geschichte der großen Politiker und Rancher umgeschrieben werden, um Sklaven, Diener, Einwanderer und Arbeiter einzubeziehen, deren Geschichten von Washington, den New Yorker Investmentbanken, den Universitäten Neuenglands und den Industriemagnaten des Mittleren Westens totgeschwiegen werden. In der Tat behaupten diese Gruppen, den Diskurs der zum Schweigen gebrachten Gruppen zu vertreten.
Eine ähnliche kulturelle Debatte gibt es auch im Islam, und genau das hat Huntington nicht erkannt. Es gibt keine einzelne, eindeutige Kultur. Schließlich besteht jede Kultur aus interagierenden Gruppen und jede Kultur wird auch von anderen Kulturen beeinflusst.
Das Leiden der islamischen Welt
Muslime sehen den Untergang des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg als die ultimative Demütigung an. Doch der Untergang hatte vier Jahrhunderte zuvor als schmerzhafter und langsamer Prozess begonnen (siehe oben). Das Kernland Türkei hat diesen Prozess zwar überwunden, als Mustafa Kemal (Atatürk) mit seinem Aufstand in Zentralanatolien die alliierten Besatzer vertrieb, aber dies war kein islamischer Sieg, sondern eine neue islamische Niederlage. Schließlich war Mustafa Kemal ein Säkularer und er schaffte das Sultanat und das Kalifat ab. Vor allem der Untergang des Kalifats war eine Katastrophe, weil er die religiöse Einheit im sunnitischen Teil der islamischen Welt zerstörte. Jeder im Nahen Osten ist sich dessen sehr wohl bewusst!
Heute ist das ehemalige Osmanische Reich in Nationalstaaten aufgeteilt, die von Frankreich und Großbritannien künstlich geschaffen wurden. Die Muslime sehen sich jedoch nicht in nationalen und regionalen Begriffen, sondern vielmehr in Bezug auf ihre religiöse Identität und politische Zugehörigkeit.
Der Prophet Muhammad wurde in Mekka geboren und gründete den Islam in Medina, von wo aus er auch Mekka eroberte. Nicht-Muslime dürfen diese beiden heiligen Städte sowie den gesamten Hedschas[4] nicht betreten, um den Propheten nicht zu entehren. Manche meinen, dieses Verbot gelte sogar für ganz Arabien. Deshalb ist die Anwesenheit amerikanischer Truppen (wenn auch nicht im Hedjaz) am Persischen Golf für die Muslime so problematisch. Außerdem haben diese Truppen seit der Entstehung des Islam den Irak angegriffen, der ein halbes Jahrtausend lang Sitz des Kalifats war - ebenfalls die glorreichste Zeit der islamischen Geschichte. Aber genau aus diesen Gründen sind die Briten nie in das Innere Arabiens vorgedrungen, sondern haben sich auf die Außenbezirke beschränkt (Kuwait, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Aden).
Die Täuschungen des Orientalismus
Der britisch-amerikanische jüdische Orientalist Bernard Lewis behauptete, dass die islamische Welt den USA seit 1990 zunehmend feindselig gegenübersteht[5]. Obwohl Lewis 1986 in den Ruhestand ging, blieb er einflussreich bis SEHR einflussreich! Sowohl das Weiße Haus als auch beide politischen Parteien der USA suchten seinen Rat zum Nahen Osten, was bedeutet, dass er enormen Einfluss auf die Außenpolitik der USA ausübte.
Bernard Lewis sah einen Kampf zwischen 'dem Islam' und 'dem' Westen, der dreizehn Jahrhunderte lang andauern würde (Kreuzzüge, Dschihad, Reconquista, ...), wobei mal der eine, mal der andere gewinnen würde. Nach der Implosion der UdSSR im Jahr 1991 gab es seiner Meinung nach nur noch einen großen Feind für den Islam: die USA. Dabei hat er sogar mit großen Worten wie "das Überleben unserer Zivilisation" gewedelt. Seit die USA Teile des Nahen Ostens militärisch besetzt haben, ist der Widerstand gewachsen. So verhinderte beispielsweise die irakische Verteidigung gegen die USA in den Jahren 2003-2011 die Vorherrschaft der USA über den Irak.
Lewis argumentierte auch, dass die bisherige westliche Politik gegenüber dem Nahen Osten nicht gut war. Sein Rat an die US-Regierung lautete: Seid hart oder verschwindet! 'Get tough' stand dabei für die Fortsetzung der in Afghanistan begonnenen 'guten' Arbeit und damit für mehr Angriffe auf vermeintlich 'terroristische' Länder und Gruppen. Mit 'raus' meinte er, einen Ersatz für Öl zu finden, so dass der Nahe Osten nicht mehr wichtig sein würde.
Bernard Lewis' vereinfachende Theorie des 'Kampfes der Kulturen' geht auf den Orientalismus zurück. Was heute im liberalen Westen durch die Theorie des 'Kampfes der Kulturen' als 'Islam' definiert wird, wurde durch den Orientalismus definiert. Dabei handelt es sich um ein Konstrukt, mit dem Feindschaft gegen einen Kontinent erzeugt werden soll, der für die USA wegen seines Öls und seiner Konkurrenz zum Westen von Interesse ist. Der Orientalismus vermittelt dem Westen ein bestimmtes Bild des Nahen Ostens, das die Menschen im Westen glauben lässt, sie wüssten, wie sich die Menschen dort verhalten und was für Menschen dort leben. Infolgedessen fangen sie an, diese Menschen mit dem "Wissen" zu betrachten, das sie über sie zu haben glauben. Der Orientalismus bietet jedoch kein unschuldiges oder objektives Wissen über den Nahen Osten, sondern spiegelt bestimmte Interessen wider.
Kampf der Unwissenheit
Die scheinbar unabhängigen Medien in einer liberalen Gesellschaft werden von kommerziellen und politischen Interessen kontrolliert: Es gibt keinen investigativen Journalismus, sondern nur die Wiederholung der Position der Regierung und der einflussreichsten Personen innerhalb der Regierung. Sie benutzen den Islam als externen Blitzableiter, um die ernsten sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Probleme in den westlichen Gesellschaften zu vertuschen. Da die Medien so leicht die Aufmerksamkeit auf einen negativen Aspekt des Islam lenken können, war es am Ende des Kalten Krieges auch sehr einfach, einen neuen, fremden Feind zu schaffen und das riesige US-Militär weiter zu legitimieren.
Die Amerikaner wissen nicht viel über Geschichte, selbst hochgebildete Amerikaner. Daher können sie historische Bezüge weder herstellen noch verstehen. Als Osama Bin Laden zum Beispiel von "der Katastrophe vor achtzig Jahren" sprach, wusste jeder im Nahen Osten, dass er damit den Untergang des Osmanischen Reiches meinte. Die Amerikaner hingegen hatten keine Ahnung, wovon Bin Laden sprach. Außerdem ist es sehr schwierig, in den USA islamfreundliche Literatur zu finden, da der Islam als Bedrohung für die jüdisch-protestantische Nation USA angesehen wird.
Edward Saïds 'Clash of Ignorance'[6] widerlegt Lewis' Behauptungen: Jedes Land im Nahen Osten hat seine eigene Geschichte und seine eigene Auslegung des Islam. Außerdem sollte man den Nahen Osten nicht als einzelne Länder verstehen, sondern durch die Dynamik zwischen ihnen. Saïd's 'Clash of Ignorance' hat gezeigt, dass Lewis' Orientalismus den 'Islam' vereinfachend verallgemeinert: schließlich gibt es mehrere Arten des Islam! Dennoch dominiert der 'Kampf der Kulturen' von Lewis die Außenpolitik der USA im Nahen Osten. Diese liberal-westliche Sicht des 'Islam' ist jedoch etwas völlig anderes als die Sicht der Muslime auf den Islam! So gibt es beispielsweise große Unterschiede zwischen dem Islam in Algerien, in Ostafrika und in Indonesien! Es ist also äußerst unklug, diesen Kontinent als eine einzige islamische, irrationale, terroristische und fundamentalistische Einheit zu sehen. Edward Saïd zufolge ist eine einzige exklusive Kultur unmöglich: Wir müssen uns also fragen, ob wir eine Trennung der Kulturen oder eine Koexistenz anstreben wollen.
Epilog
Huntingtons Version von Lewis' 'Kampf der Kulturen' erschien zunächst als Zeitschriftenartikel in Foreign Affairs, weil er so die Politik beeinflussen konnte: Schließlich ermöglichte dieser Diskurs den USA die Fortsetzung des Denkmusters des Kalten Krieges. Viel nützlicher ist jedoch eine neue Denkweise, die sich der Gefahren bewusst ist, die derzeit die gesamte Menschheit bedrohen: zunehmende Armut, ethnischer und religiöser Hass (Bosnien, Kongo, Kosovo, Berg-Karabach, Ukraine, ...), zunehmender Analphabetismus und ein neuer Analphabetismus (in Bezug auf elektronische Kommunikation, Fernsehen und Internet).
Geschichte sollte entnationalisiert werden und deutlich machen, dass wir in einer sehr komplexen und gemischten Welt leben, in der Kulturen nicht einfach getrennt werden können: Geschichte sollte als Austausch zwischen Kulturen gelehrt werden und deutlich machen, dass Konflikte nutzlos sind und die Menschen nur isolieren. Heute lehrt der Geschichtsunterricht im Westen jedoch immer noch, dass der Westen das Zentrum der Welt ist.
Es muss auch weiterhin Unterschiede zwischen den Kulturen geben: Sowohl der Wunsch, Kulturen auszulöschen, als auch der Wunsch, dass Kulturen aufeinanderprallen, sind nicht gut. Wir sollten uns um die Koexistenz verschiedener Kulturen, Sprachen und Traditionen bemühen und so diese Unterschiede bewahren, anstatt eine einzige Weltkultur oder - wie Huntington und Lewis es taten - Krieg anzustreben.
Die falsche orientalistische Vorstellung vom 'Kampf der Kulturen' sollte bekämpft werden, indem wir aufdecken, was wirklich dahinter steckt, indem wir darüber diskutieren, indem wir aufklären und indem wir den amerikanischen und europäischen Intellektuellen klar machen, welche enormen Auswirkungen die ausländischen Interventionen des Westens auf andere Kulturen haben.
Fussnoten:
[1 ] HUNTINGTON (Samuel), Kollidierende Zivilisationen, Antwerpen, Icarus, 1997, S. 412.
[2 ] LEWIS (Bernard), The Roots of Muslim Rage, in: The Atlantic Monthly, 1990.
[3 ] SCHLESINGER (Arthur), The Disuniting of America, New York, Norton, 1992, S. 160.
[4 ] Der Hedjaz ist eine Region im Westen Arabiens, zu der die heiligen islamischen Städte Mekka und Medina gehören.
[5 ] LEWIS (Bernard), What went wrong? Western Impact and Middle Eastern Response, Oxford, Oxford University Press, 2002, S. VII + 180.
[6 ] SAÏD (Edward), Orientalism, London, Penguin, 2003, S. 396.
Übersetzung von Robert Steuckers