Die Geopolitik der Ostsee

12.07.2022
Die Entwicklungen im Bereich der Sicherheit im Ostseeraum zeigen einen starken Trend zur Regionalisierung der europäischen Sicherheit

Im Dezember 2007 veröffentlichte der Europäische Rat die Schlussfolgerungen seiner Präsidentschaft und forderte die Europäische Kommission auf, bis spätestens Juni 2009 eine EU-Strategie für den Ostseeraum vorzulegen. Bis dahin hatte das Europäische Parlament lediglich eine Strategie zur Bewältigung der dringenden Umweltprobleme der Ostsee gefordert. Die Kommission legte am 10. Juni 2009 ihre Mitteilung über die EU-Strategie für den Ostseeraum (EUSBSR) mit einem detaillierten Aktionsplan vor. Diese wurden vom Europäischen Rat im Oktober 2009 gebilligt und damit wurde die EU-Strategie für den Ostseeraum zur ersten makroregionalen Strategie der EU.

Im Jahr 2012 legte die Kommission drei allgemeine Ziele für die Strategie fest: "Das Meer retten", "Die Region verbinden" und "Den Wohlstand steigern". Darüber hinaus schlug die Kommission vor, für jedes Ziel messbare Indikatoren und Zielvorgaben festzulegen. Um diesen Änderungen Rechnung zu tragen, wurde der Aktionsplan 2013 im Einklang mit den Zielen der Strategie Europa 2020 aktualisiert.

Nach umfangreichen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten wurde der Aktionsplan 2015 aktualisiert. Dank der Aktualisierung wurde die Strategie gestrafft und auf drei Hauptziele konzentriert. Im Jahr 2017 wurde der Aktionsplan mit einigen technischen Aktualisierungen und Korrekturen, einem aktualisierten Kapitel über Verkehr in der Politik, einem neuen Punkt über Bildung in der Politik und einem Abschnitt im Kapitel Management, der das Verfahren zum Wechsel der thematischen Koordinatoren beschreibt, überarbeitet.

Die aktuelle Version des Aktionsplans trat im Jahr 2021 in Kraft. Der überarbeitete Aktionsplan ist stärker fokussiert und berücksichtigt die neuen globalen Herausforderungen, den neuen strategischen Rahmen der EU und den mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 sowie die Herausforderungen der Strategie. Der überarbeitete Aktionsplan enthält auch Hinweise auf die "Einbettung" der Strategie in die Politik und die Finanzierungsprogramme der EU.

Das Gebiet, das von der Strategie abgedeckt wird, ist hauptsächlich das Ostseebecken, einschließlich der Binnengebiete. Es hat etwa 85 Millionen Einwohner und umfasst 8 EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Estland, Finnland, Deutschland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden) sowie Russland.

Acht der neun Anrainerstaaten der Ostsee sind Mitglieder der Europäischen Union, und neue Möglichkeiten für eine bessere Koordinierung haben den Bürgern dieser Mitgliedstaaten einen höheren Lebensstandard gesichert. Doch selbst bei guter internationaler und interregionaler Kommunikation und Zusammenarbeit sind die neuen Vorteile der EU-Mitgliedschaft noch nicht voll zum Tragen gekommen, und die Probleme der Region sind noch nicht gelöst. Die Ostseeregion (BSR) ist in Bezug auf Wirtschaft, Natur und Kultur sehr vielfältig.

Die Mitgliedsstaaten teilen viele gemeinsame Ressourcen und sind voneinander abhängig. Das bedeutet, dass Maßnahmen, die in einem Bereich ergriffen werden, schnell zu Ergebnissen in anderen Bereichen führen oder die Region als Ganzes beeinflussen können.

Die von der BEMIP, Litauen und Lettland koordinierte EU-BSR-Politik im Bereich "Energie" zielt darauf ab, eine wettbewerbsfähige, zuverlässige und nachhaltige Energieversorgung im Ostseeraum zu gewährleisten.

Die regionale Zusammenarbeit im Energiesektor basiert auf dem Baltic Energy Markets Interconnection Plan (BEMIP), der die Bereiche Energieinfrastruktur, Gas- und Strommärkte, Energieerzeugung, Energieversorgungssicherheit, Energieeffizienz und erneuerbare Energiequellen umfasst. Auf dem Gebiet der Strom- und Gasmärkte liegt der Schwerpunkt auf der Schaffung eines offenen, wettbewerbsfähigen und vollständig integrierten regionalen Energiemarktes im Ostseeraum.

Im Energiesektor ist Litauen mit der Entwicklung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energiequellen betraut, um die strategischen Ziele der EU in diesem Bereich zu erreichen (in Abstimmung mit Lettland).

Derzeit läuft eine Initiative zur Schaffung einer Plattform für Energieeffizienz, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Ostseestaaten bei der Erreichung der Energieeffizienzziele der EU zu fördern.

Bei der Bewertung der Umsetzung der Strategie sollte man auf drei "Punkte" achten.

Erstens hat die Tatsache, dass der Geltungsbereich der Strategie vom Europäischen Rat ausgearbeitet wurde, die Art und Weise beeinflusst, wie die Diskussion in dieser Region geführt wurde. Der Text des Dokuments konzentriert sich auf die Lösung von Umweltproblemen, insbesondere im Zusammenhang mit der Schifffahrt. In seiner Schlussfolgerung fordert der Rat eine wirksame Trennung zwischen dem internen und dem externen Politikbereich. Diese Bestimmung steht im Widerspruch zu den bereits vorhandenen Erfahrungen bei der Lösung der dringlichsten Probleme der Ostsee, einschließlich der Umweltprobleme sowie der Schifffahrtsfragen, die grenzüberschreitender Natur sind und somit per Definition auch Staaten einschließen, die nicht Mitglied der EU sind.

Zweitens scheinen die Unterschiede in Bezug auf die Verwaltung wichtig zu sein. Die Europäische Kommission hat eine Strategie vorgeschlagen, die die bestehenden Punkte koordinieren sowie die Erfolge, Bedürfnisse und Herausforderungen sorgfältig überwachen und überprüfen soll, um so die Dynamik des Aktionsplans aufrechtzuerhalten. In der Entschließung forderte das Parlament eine ganz andere Lösung: unter anderem durch seinen Vorschlag, jährliche Gipfeltreffen der Ostseeanrainerstaaten vor der Sommertagung des Europäischen Rates abzuhalten und die regionalen Organisationen innerhalb und außerhalb des EU-Systems auszubauen.

Die letzte wichtige Schlussfolgerung war der Prozess der Arbeit zur Verbesserung der Strategie. Der Prozess der öffentlichen Konsultationen, der von August 2008 bis Februar 2009 stattfand, diente nicht nur der Verbesserung der Strategie, sondern auch der Erleichterung des Genehmigungsverfahrens. An den Konsultationen waren Staaten, Regionen, eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen und internationalen Regierungsorganisationen sowie einzelne Bürger beteiligt. Bei den verschiedenen Treffen konnte die Strategie die grundlegenden Positionen herausstellen, die von einer großen Mehrheit der Teilnehmer geteilt wurden:

  • Die absolute Notwendigkeit einer Strategie für den Ostseeraum,
  • Die Notwendigkeit eines integrierten Ansatzes, um Ergebnisse zu erzielen,
  • die wichtige Rolle der Europäischen Kommission bei der Entwicklung der Strategie,
  • Die Konzentration auf spezifische Projekte, um echte Ergebnisse zu erzielen,
  • Die Notwendigkeit, keine neuen Institutionen zu schaffen, da es bereits eine große Anzahl von Organisationen gibt,
  • Der Wunsch, über leere Erklärungen hinauszugehen und mit führenden Ländern mit konkreten Zielen und klar definierten Fristen zusammenzuarbeiten.

Es ist erwähnenswert, welche Rolle das Studium der Erfahrungen der NATO im Ostseeraum spielt. Mit dem Ende der Bipolarität des Kalten Krieges ist das europäische Sicherheitssystem zunehmend entlang regionaler Linien zersplittert, was häufig historische Brüche und traditionelle Muster von Kooperation und Konflikt widerspiegelt. Während des Kalten Krieges teilten NATO-Mitglieder wie Norwegen und die Türkei ein gemeinsames nationales Sicherheitsinteresse - die wahrgenommene sowjetische Bedrohung. Ungeachtet der Unterschiede in der geostrategischen Lage stellte dies für sie ein gemeinsames Problem dar, das als Grundlage für die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit innerhalb des Bündnisses diente. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Verschwinden der Sowjetunion haben sich die nationalen Sicherheitsinteressen Norwegens und der Türkei auf ihre spezifischen regionalen Probleme konzentriert, die übrigens sehr unterschiedlich sind. In ganz Europa ist die Regionalisierung der Sicherheitsagenda offensichtlich. In Südosteuropa ist die traditionelle "Balkan"-Rivalität wieder aufgetaucht, zusammen mit neuen Problemen der Staats- und Nationenbildung. Dies verleiht den internationalen Beziehungen in dieser unruhigen Region einen besonderen - und sehr blutigen - Charakter.

Die Entwicklungen im Bereich der Sicherheit im Ostseeraum zeigen denselben Trend: den Wunsch nach einer Regionalisierung der europäischen Sicherheit. Die Staaten des Ostseeraums teilen die gleiche Sorge um die regionale Sicherheit, die sich aus den unterschiedlichen Modellen der Zusammenarbeit in der Region ergibt. In diesem Sinne sind sie Teil des regionalen "Sicherheitskomplexes".
Die wichtigsten Bedrohungen für die biologische Vielfalt der Ostsee sind folgende.

Eutrophierung. Sie hat zu einem Anstieg der Zahl der Planktonalgen, zu einer Zunahme der Häufigkeit giftiger Algenblüten und zu einem Rückgang des Sauerstoffgehalts in den tiefen Gewässern der Ostsee geführt.

Fischerei. Die Fischerei auf wichtige Fischarten wie Dorsch, Hering, Lachs und Aal ist aufgrund von Überfischung und sich verschlechternden Zuchtbedingungen derzeit nicht nachhaltig. Der Beifang von Meeressäugern, Seevögeln und Nicht-Zielfischarten ist zu hoch.

Verschmutzung durch Schadstoffe und Öl. Organische Schadstoffe verursachen Gesundheits- und Fortpflanzungsprobleme für Meeressäuger und Vögel.

Einführung nicht einheimischer Arten. Veränderungen in der Struktur und den Komponenten des Ökosystems werden durch eingeführte Arten verursacht. Die absichtliche Einführung, Bewuchs und Ballastwasser sind drei wichtige Wege, auf denen Organismen in die Ostsee gelangen. Flussverbindungen mit dem Brackwasser des Schwarzen und des Kaspischen Meeres erhöhen das Risiko der Einschleppung aus diesen Gebieten.

Daher wurde das Baltic Monitoring Program (BPM) eingeführt. Die Ziele des Cooperative Monitoring of the Marine Environment of the Baltic Sea (COMBINE) sind die Identifizierung und Quantifizierung der Auswirkungen von anthropogenen Einleitungen/Aktivitäten in der Ostsee im Zusammenhang mit natürlichen Veränderungen im System sowie die Identifizierung und Quantifizierung von Veränderungen in der Umwelt durch regulatorische Maßnahmen. Das Programm umfasst hydrographische Messungen, die Auswirkungen des anthropogenen Nährstoffeintrags auf die Meeresbiota, die Schadstoffkonzentration in einzelnen Organismen und die Auswirkungen von Schadstoffen auf die Struktur der Lebensgemeinschaften.

Das Ostsee-Überwachungsprogramm ist Teil von COMBINE und wird von der Helsinki-Kommission durchgeführt. Das Überwachungsprogramm bietet eine gute Grundlage für die Entwicklung einer allgemeinen Vorstellung von den Umweltbedingungen in der Ostsee und von Möglichkeiten, diese zu verbessern. Darüber hinaus wurden bilaterale Abkommen unterzeichnet, die die Umweltüberwachung von Teilen der Ostsee, wie dem Bottnischen Meerbusen zwischen Finnland und Schweden und dem Öresund zwischen Dänemark und Schweden, betreffen. Dänemark, Norwegen und Schweden arbeiten im Kattegat und Skagerrak zusammen. Diese Programme bieten einen gewissen vorübergehenden Ausgleich für das Fehlen von Überwachungsprogrammen in den Meeresschutzgebieten (MPAs) selbst.

Natürlich sind das Kaliningrader Gebiet und Russland als Ganzes jetzt sowohl eine Herausforderung als auch eine weitreichende Bedrohung für die EU-Länder mit Zugang zur Ostsee. Litauens unzureichende Maßnahmen haben bereits zu einem neuen Spannungsherd geführt. Auch andere Provokationen sind möglich. Als Reaktion darauf könnte Russland Maßnahmen ergreifen, die möglicherweise die Ostsee-Strategie der EU untergraben, was sowohl die baltischen Länder als auch Brüssel vorsichtiger machen könnte.

Übersetzung von Robert Steuckers