Der Selbstmord von Jürgen Habermas

14.02.2024

Die jüngste Erklärung, die unter anderem von Jürgen Habermas, dem letzten Vertreter der 'Frankfurter Schule', unterzeichnet wurde, behauptet nach den von der Hamas begangenen 'Gräueltaten' und der israelischen Reaktion die Existenz bestimmter 'Prinzipien, die nicht in Frage gestellt werden sollten' und die 'die Grundlage einer richtig verstandenen Solidarität mit Israel und den Juden in Deutschland' wären. Das Argument lautet im Wesentlichen wie folgt: Da das Ziel der Hamas-Aktion darin bestünde, "jüdisches Leben im Allgemeinen auszulöschen", sei es faktisch unmöglich, die israelische Reaktion zu kritisieren, ohne - absichtlich oder unabsichtlich - in eine antisemitische Haltung zurückzufallen. Daher die Solidarität mit Israel und den Juden in Deutschland: denn - so könnte man meinen - Israel anzugreifen heißt auch, die deutschen Juden anzugreifen, es heißt, die Juden als solche anzugreifen. Ein Argument, das ein Robert Habeck vorbringen könnte und auch vorgebracht hat, aber von einem Philosophen, noch dazu von einem vom Kaliber eines Habermas, hätten wir etwas mehr erwartet. Wir erlauben uns daher einige kritische Anmerkungen.

Jeden, der Israel kritisiert, jeden, der palästinensische Motive unterstützt, des Antisemitismus zu bezichtigen, ist ein Mittel, das sich oft als rhetorisch wirksam erwiesen hat, aber nicht aufhört, moralisch beschämend zu sein. Dies hatte bereits der Philosoph und Jude Jacques Derrida, der in De quoi demain... von einer 'Todesfalle' sprach, viel besser als ich es tun kann, beobachtet: 'Es scheint mir nicht richtig zu sein, irgendjemandem - mich eingeschlossen - das Recht abzusprechen, Israel oder eine bestimmte jüdische Gemeinschaft unter dem Vorwand zu kritisieren, dass dies einer Form von Antisemitismus ähneln oder für diese funktional sein könnte'. Er fügte hinzu: "Das Schlimmste ist in meinen Augen die Aneignung und vor allem die Instrumentalisierung der historischen Erinnerung. Es ist durchaus möglich und notwendig, ohne die geringste Form von Antisemitismus zu unterstellen, diese Instrumentalisierung anzuprangern, ebenso wie das rein strategische Kalkül - politisch oder anderweitig - das darin besteht, den Holocaust für dieses oder jenes Ziel zu nutzen". Eine Lektion, die Habermas kennen sollte, zumal er in einem philosophischen Dialog mit Derrida stand.

Das heißt also nicht, dass Antisemitismus nicht auch heute noch ein Problem, eine Geißel, sein kann, und natürlich auch nicht, dass er toleriert werden sollte. Aber man muss ehrlich und klarsichtig genug sein, um die Verantwortung zu übernehmen, die damit verbunden ist, jemanden des Antisemitismus zu bezichtigen und ihm damit die Freiheit der Meinungsäußerung und der Kritik zu entziehen. Man darf sich nicht scheuen, jede Position Israels zu kritisieren, und man darf den Menschen nicht das Recht nehmen, sich auf die Seite der Palästinenser zu stellen, wenn sie das wollen und für richtig halten. Die Verfolgung der Juden während des Nationalsozialismus richtete sich nicht nur gegen die Juden, sondern gegen die Idee der Menschlichkeit, der Menschenwürde, die den Juden abgesprochen wurde und die heute wie gestern kantianisch verteidigt werden sollte.

Stattdessen tappt Habermas in die 'Todesfalle'. Mit seinem 'Prinzip der Solidarität', das faktisch an die Stelle des 'Prinzips der Menschenwürde' getreten ist, hat Habermas in den letzten Jahren alles gerechtfertigt: vom Krieg in der Ukraine über die notwendige Unterstützung für Selenskij mit der ständigen Lieferung von Waffen bis hin zum Kampf gegen diejenigen, die Abriegelungen und Zwangsimpfungen für illegitim hielten. Putin ist ein Verbrecher und jeder, der gegen die Pandemiepolitik der Regierung protestiert, ist ein Leugner und ein rechtsextremer Verschwörungstheoretiker, der (fast) geächtet werden sollte. Manchmal, wenn die 'Solidarität' von der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, muss der Staat, so Habermas' Schlussfolgerung, sie aufzwingen. Gebt uns Horkheimer und Adorno und die Dialektik der Aufklärung!

So stirbt die 'Frankfurter Schule', oder besser gesagt, sie ist tot: von der Kritik des Bestehenden gehen wir zu seiner bedingungslosen Rechtfertigung über. Aber wie kann Habermas ignorieren, dass Israels Reaktion jenseits jeder möglichen 'Verhältnismäßigkeit' liegt? Wie kann Habermas jenseits der möglichen 'völkermörderischen Absicht' übersehen, dass Israel die Gelegenheit ergriffen hat, sie zu verwirklichen. Die ethnische Säuberung Palästinas, um den Titel des Buches des israelischen Historikers Ilan Pappé aufzugreifen, die mit der Gründung des Staates Israel begann? Wie kann er vergessen, dass Noam Chomsky, ein anderer angesehener Jude, dies genauso sieht? Jüngsten Zahlen zufolge hat der andauernde Krieg mehr als 20.000 Palästinenser das Leben gekostet, von denen etwa 70% Frauen und Kinder waren. Die Zahl der Todesopfer in Israel liegt bei etwa 1.200, darunter 31 Kinder. Sollen wir die Unverhältnismäßigkeit dieser Zahlen leugnen?

War Habermas nicht immer darauf bedacht, das Ob vom Wie des Krieges zu unterscheiden, indem er auf der Anwendung eines Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bestand, der notwendig ist, um zivile Opfer zu vermeiden? Hatte er nicht im Fall des Golfkriegs geschrieben, dass man niemals eine militärische Intervention unterstützen kann, die wahllose Teppichbombardierungen vornimmt? War Habermas nicht der Philosoph, der an einen 'immerwährenden Frieden' dachte, nach dem kantischen Modell der freien Union zwischen Staaten? Vielleicht erfordert dieser Frieden als erste Bedingung die Rechtfertigung der Menschenrechtsverletzungen im Gazastreifen?

Quelle

Übersetzung von Robert Steuckers