Das Problem des Aufschub

29.11.2021
Die Klarstellung der Verbindung zwischen Heideggers Philosophie zu den politischen Ideologien des dritten Wegs führt uns zu einem sehr heiklen Problem, was als "Problem des Aufschub" bezeichnet werden kann.

Übersetzung von Michael Kumpmann

Nachdem die deutsche Philosophie, von Nietzsche formalisiert und von Heidegger gedeutet, als Ende der westeuropäischen Metaphysik erkannt wurde, wurde damit auch theoretisch die seynsgeschichtliche Lokalisierung der "großen Mitternacht" erfüllt. Bedeutet dies aber auch, dass sie auch erreicht wurde? Genau diese Frage, bei der offensichtlich Unsicherheit und Unschlüssigkeit durchscheinen, erklärt auf viele Wege die Paradoxien der Verbindung zwischen der Konservativen Revolution und der Geschichte des dritten Reichs. Wenn das Ende erreicht und erkannt wäre, dann hätte, im Rahmen der Seynsgeschichte Deutschlands als Zentrum europäischen Denkens im Zeitalter des Endes, auch der Übergang zu einem neuen Anfang kommen können, und müssen. Hölderlins Prophetische Visionen und Hegels philosophische Vorhersagen bezüglich eines "Volk der Philosophen" hätten ihren Höhepunkt erreichen und zu etwas Großartigem und Beispiellosem führen müssen.

Und obwohl es an einem bestimmten moment so schien, als sei es "kurz davor, einzutreten", genau dieser andere Neuanfang, wurde es de Fakto klar, dass diese Möglichkeit sehr flüchtig war, und folglich dieser Punkt der Mitternacht wieder mal nicht erreicht wurde. Wie Heidegger es in seinem wichtigen Text "Wozu Dichter?" sagte: "Immer dieses noch nicht ganz".

Das Schicksal Hitlerdeutschlands, Heideggers Beobachterposition darin, genau so wie sein persönliches Schicksal und das Schicksal seiner Philosophie, zeigen unzweifelhaft, dass diese Zeit, zu sehr "noch nicht ganz", dass man unabsichtliche Lichtblitze als erste Strahlen eines neuen Morgens interpretierte, obwohl die Dunkelheit der Nacht nur tiefer wurde. Und Heideggers Nachkriegstexte sind voll mit mutiger Verzweiflung. Das, was passieren sollte, war nicht passiert. Schon wieder "war es noch nicht geschehen". Zwei Ideologien in deren Mitte eindeutig ontologischer Nihilismus stand - Liberalismus und Kommunismus - hatten gewonnen. Nicht nur in einem militärischen, sondern in einem philosophischen Sieg. Dies ist deshalb sogar noch wichtiger, da dieser Sieg nicht nur von Außen, sondern auch von Innen kam. Denn die Ideologien des dritten Weges konnten nicht den Weg eines anderen Neubeginns einschlagen und haben deshalb konsequenterweise schon verloren gehabt, bevor die Entscheidungsschlacht überhaupt begonnen hat. Deutschland verlor und wurde zweigeteilt. Europa verlor und wurde zur Hälfte von der UDSSR und zur anderen Hälfte von den USA besetzt. Zwei Formen eines singulären Bösen. Unendlich in ihrer Nichtigkeit.

In gewissen Momenten waren Töne der Hoffnungslosigkeit von Heideggers Stimme zu hören: Technik als Schicksal des Westens wurde totalst realisiert. Nuklearwaffen standen bereit, die gesamte Erde zu vernichten. Um die Welt, die Geistig schon längst im Nihilismus ankam, auch Physisch dem Nichts anzugleichen; Niemand nun kann sich erinnern, wie die Nacht über die Welt kam, denn die Erinnerung an das Licht (sowohl das Licht der Dämmerung als auch das der Abendröte) war schon lange ausgelöscht.  Der Mensch hat in seiner "Uneigentlichkeit" sein Dasein so stark vergessen, dass er nicht mal verstehen kann, wenn darüber geredet wird.

In dem nach seinem Tod veröffentlichten Spiegel Interview sagte Heidegger: "Scheinbar kann nur noch ein Gott uns retten". Dieser Satz ist Signifikant, da Heidegger ein Denker war, der immer sagte, dass der allerletzte Gott nicht gerufen wird um irgendjemanden zu "retten". Er kommt und geht einfach und nickt nur den Menschen zu, die ihre Bestimmung als Wächter des Daseins finden. Nun ist die Ankunft eines solchen Gottes nicht zu glauben. Die Möglichkeit der Künftigen, zu Zukünftigen zu werden, ist abgeschottet von der gesamten totalitären, planetaren Macht der Vergangenheit. Nicht von der, die da war. Sondern von der , die kommt, vorbei zog und vorbei ziehen wird im selben Moment, wie sie gekommen ist. Konsequenterweise gibt es auch kein Loblied auf den kommenden Gott und schlussendlich auch niemand, der gerettet werden kann.

Also woher wird dieses "noch nicht ganz" genommen? Die Antwort auf diese Frage ist gleichbedeutend mit der Aufdeckung des Grundes, warum der dritte Weg in der Fremde und der "Heimatfront" besiegt wurde, und der Logik hinter dem ureigenen Schicksal von Heidegger selbst.

Das "Noch nicht ganz" und die Erwartung eines schnell kommenden Ereignis, der Atem der Nähe eines anderen Neubeginns, die Bestimmung eines Wegs hin zur Fundamentalontologie - Was ist das? Die Unpräzise Bestimmung eines Moments, Ortes, sofortig? Ist das ein Fehler von Berechnungen, Erwartungen und Verortungen, oder geht es um etwas ganz Anderes?