SPD fällt unter 20-Prozent-Marke
In einer von der Bild-Zeitung in Auftrag gegebenen neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA ist die SPD bundesweit erstmals in der Nachkriegszeit unter die 20-Prozent-Marke gefallen: Die Sozialdemokraten verloren im Vergleich zu letzten INSA-Erhebung 0,5 Punkte und liegen jetzt bei neunzehneinhalb Prozent.
Die Union verlor ebenfalls einen halben Punkt auf jetzt 31,5 Prozent. Ihre Verluste in den letzten Monaten dürften vor allem zu Lasten der CDU gehen - die CSU, die rhetorisch etwas Abstand zur Politik Angelas Merkel hält, steigerte sich nämlich in der letzten Landtagswahlumfrage vom Februar auf den März von 46 auf 48 Prozent.
Hält der Trend für die SPD und die CDU an, dann könnte der gemeinsame Stimmenanteil von Sozial- und Christdemokraten bald unter 50 Prozent sinken. Wenn dann gewählt würde, hätte die Regierungskoalition zwar keine absolute Stimmenmehrheit mehr, aber eine Mandatsmehrheit, weil durch die Fünf-Prozent-Hürde regelmäßig die Stimmen von fünf bis sechs Prozent der Wahlteilnehmer auf Mandate für Parteien umgerechnet werden, die sie gar nicht gewählt haben.
Sinkt der gemeinsame Stimmenanteil von Sozial- und Christdemokraten auch unter die Mandatsmehrheitsschwelle (wie derzeit in den Umfragen für Österreich), dann stünden die Grünen als Mehrheitsbeschaffer bereit, deren Positionen sich in zentralen Fragen nur bedingt von denen der Regierung unterscheiden. Sie legten in der aktuellen INSA-Umfrage von 12,5 auf 13,5 Prozent zu. Auch die Linke gewinnt nach einem Zwei-Punkte-Verlust in den letzten Wochen wieder etwas dazu - um einen halben Punkt auf jetzt neuneinhalb Prozent. Die AfD gibt im gleichen Maßstab auf jetzt zwölfeinhalb Prozent ab und die FDP bleibt mit siebeneinhalb Prozent stabil.
Personaldebatte ohne Aussicht auf Änderung
Der Fall unter die 20-Prozent-Marke deutete sich bei der SPD schon länger an (vgl. SPD auf dem Weg unter 20 Prozent?). In den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt (10,6 Prozent) und Baden Württemberg (12,7 Prozent) halbierte die die Partei ihre Ergebnisse sogar und liegt nun nur mehr relativ knapp in der Zweistelligkeit. In Sachsen hat sie dieses Problem schon länger, in Bayern sieht es nicht sehr viel besser für sie aus.
Das befeuert die Personaldebatte in der Partei, die sich vor allem um den Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel [Bild] dreht. Die meisten Beobachter sind allerdings der Überzeugung, dass diese Debatte wahrscheinlich folgenlos bleiben wird, weil die SPD über keine Führungskräfte mehr verfügt, die eine echte Alternative zu Gabriel wären.
Diese Alternativlosigkeit hängt damit zusammen, dass sich die Partei in den letzten Jahrzehnten durch ihre internen Auswahlprozesse einen Politikertyp heranzüchtete, der zwar bei anderen Politikern gut ankommt - aber nicht beim Volk. Dieser Effekt ist auch für die inhaltliche Misere der Sozialdemokraten verantwortlich: Um seine Karriere nicht zu gefährden, war die das Nichtübertreten von Tabus nämlich die wichtigste Regel für diesen Typ Politiker. Wichen diese Tabus vom Willen der Bürger ab, dann stellte man sie nicht infrage, sondern beschimpfte lieber die Wähler. Das war für einzelne Karrieren ungefährlicher, schadete aber langfristig der ganzen Partei.
Dass die SPD einen Ausweg aus dieser Entwicklung findet, ist nicht zu erwarten. Theoretisch möglich wäre das durch eine Öffnung für weniger tabuängstliches Personal von außerhalb der Partei. Würde jedoch beispielsweise Justizminister Heiko Maas durch den bekannten BGH-Richter und Zeit-Kolumnisten Thomas Fischer ersetzt, dann würde dieser nicht nur eine völlig andere Politik machen als der Amtsinhaber, sondern auch einen großen Teil der Parteifunktionäre in Schnappatmung versetzen. Ähnlich, wie wenn die SPD ihren Außenminister Frank-Walter Steinmeier durch den kenntnisreicheren und unabhängigen Experten Peter Scholl-Latour ersetzt hätte, bevor der 2014 verstarb.
Eine andere Möglichkeit wäre, die teilweise Überlebtheit von Parteien im 21. Jahrhundert zu akzeptieren und und sich konsequent für Volksabstimmungen einzusetzen. Das wird die SPD aber schon alleine deshalb nicht machen, weil solche Volksabstimmungen, zu Ergebnissen führen können, die aktuellen Tabus entgegenstehen, wie letzte Woche das niederländische Referendum über das Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine zeigte.
Peter Mühlbauer, Telepolis (12.4.2016)